Nach Ansicht des Neurowissenschaftlers Henning Beck ist Unterbrechen meist keine Form von Unhöflichkeit, sondern ein wichtiger Bestandteil einer flüssigen Unterhaltung, wobei die meisten Unterbrechungen eine normale Unterhaltung erst möglich machen. Während man sich mit anderen Menschen unterhält, macht ja das Gehirn keine Pause, sondern überlegt gleich schon, was man als nächstes sagen könnte, d. h., es plant schon die Antworten vor. Würde es das nämlich nicht tun und erst die Antwort planen, wenn das Gegenüber ausgeredet hat, würden lange, seltsame Gesprächspausen entstehen. Dabei ist das Gehirn, während es die Antwort plant, trotzdem in der Lage, dem Gegenüber weiter zuzuhören und sich dem Gesagten anzupassen. In Sprechtrainings wird oft geraten, eine kurze Pause vor einer Antwort einzulegen, um so noch nachdenken zu können und überlegter zu wirken, doch aus neurowissenschaftlicher Sicht kann eine Antwort, die nach einer halben Sekunde noch nicht ausgedacht wurde, nach einer oder mehreren Sekunden auch nicht besser ausgedacht werden, denn idealerweise denkt das Gehirn beim Zuhören immer mit und hat dementsprechend schnell eine Antwort parat. Die größte Höflichkeit in einem Gespräch ist daher, wenn man schnell antworten kann, denn das zeigt dem Gegenüber, dass man immer mitgedacht hat. Bei Antworten, bei denen man wirklich etwas länger überlegen muss, weil es sehr kompliziert ist oder man sich an etwas erinnern möchte, ist es natürlich verständlich, wenn eine Pause entsteht, was auch daran liegt, dass in diesen Fällen meist noch andere Areale im Gehirn benötigt werden. Häufig erkennt man diese Art des Nachdenkens, wenn das Gegenüber den Blick abwendet, um zu überlegen, doch auch in diesem Fall kommt der Gesprächsverlauf nicht ins Stocken, da klar ist, dass die Person sich erst einmal für die Antwort sammeln muss.
Literatur
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/gespraeche-warum-es-uns-so-schwerfaellt-das-gegenueber-ausreden-zu-lassen (22-03-19)