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Vom verleugneten Scheitern in der Erziehung

    Alle pädagogische Bemühungen sind begleitet von dem Risiko zu scheitern, d. h., das Erreichen von pädagogischen Zielen, das Aufbauen von Beziehungen, das Begleiten von Prozessen und vergleichbare erzieherische Handlungen können grundsätzlich immer misslingen. Diesem Aspekt wird aber seltsamerweise in der Erziehungswissenschaft sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl das Scheitern bzw. das Scheitern-Können ein konstitutives Moment aller erzieherischen Bemühungen darstellt. Offenbar werden solche negativ konnotierten Aspekte in den Erziehungswissenschaften tendenziell eher ausgeblendet oder gar verleugnet. Obwohl der riskante Charakter von Bildungs- und Erziehungsprozessen seit langem bekannt ist, neigt die Pädagogik offenbar dazu, das Scheitern pädagogischer Bemühungen theoretisch auszublenden, d. h., es gibt ein sehr einseitiges Spannungsverhältnis zwischen dem notorischen Optimismus der Pädagogik und dem komplentär damit verbundenen Interesse an einem möglichen Scheitern.

    Offenbar stellt in einer individualistisch orientierten Gesellschaft jedes Scheitern eine Bedrohung des Selbstwertes dar, denn je mehr Leistung zum Kriterium für die soziale Rolle des Erziehens und das Selbstbild der Erzieherin oder des Erziehers wird, desto gravierender ist ihr bzw. sein Versagen. Dies ist auch deshalb so überraschend, wenn man sich vergegenwärtigt, dass pädago- gisch relevante Phänomene wie Erziehung und Bildung oder Lehren und Lernen ganz fraglos als hochgradig riskant gelten und grundsätzlich vom Scheitern nicht nur dann bedroht sind, wenn eine Verfahrensvorschrift verletzt oder eine bedeutsame Regel nicht beachtet wird, sondern auch ganz grundsätzlich, weil es eben prinzipiell ausgeschlossen ist, sämtliche Bedingungen des Gelingens zu kennen oder gar zu kontrollieren.

    In der Psychologie hingegen bezog sich etwa Eduard Spranger deutlich auf die ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehun, womit er den verführerischen Steuerungsphantasien der Pädagogik eine Absage erteilte und nüchtern festhielt, dass das »Nicht-voraus-berechnen-Können« eine der gewichtigsten Ursachen dafür ist, dass im pädagogischen Bereich außerordentlich viel misslingt.

    Im Übrigen hängt es auch von der Gesellschaft und ihren Normen ab, ab wann Menschen sich als gescheitert betrachten. Allerdings reagieren selbst Menschen innerhalb einer Kultur unterschiedlich auf negative Erfahrungen, denn während die einen sich zerfleischen, weil ihre Leistung nicht ganz perfekt war, erholen sich andere, die etwa mit einem ganzen Unternehmen gescheitert sind, äußerst schnell, um auf den Scherben ihrer Existenz etwas Neues aufzubauen. Das Geheimnis solcher Menschen ist, dass sie negative Gedanken schneller abstellen können, denn zwar denkt jeder Mensch über negative Erfahrungen meist mehr nach als über positive, aber manche Menschen kommen davon besser wieder los und grübeln nicht so lange. Häufig liegt in der Interpretation eines negativen Ereignisses der Schlüssel, um danach zufrieden weiterleben zu können.

    Literatur

    Spranger, Eduard (1962). Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung. Heidelberg: Quelle & Meyer.
    Stangl, W. (2020, 15. März). Kritik als Feedback. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/Feedback-Kritik.shtml
    https://phzh.ch/MAP_DataStore/273096/publications/6004776w.pdf
    https://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/04/kunst-scheitern-fehler-machen