An wen erinnert sich eine Gesellschaft nach dem Tod eines Menschen? Obwohl sowohl Wissenschaftler als auch die breite Öffentlichkeit seit der Antike über diese Frage spekulieren, fehlt immer noch ein detailliertes Verständnis der Prozesse, die ablaufen, wenn eine öffentliche Person stirbt und sich ihr Medienbild verfestigt und in das kollektive Gedächtnis eindringt. Um diese Lücke zu schließen, nutzten West et al. (2021) einen umfassenden 5-Jahres-Datensatz von Online-Nachrichten und Beiträgen in sozialen Medien mit Millionen von Dokumenten. Indem sie die Erwähnung tausender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Jahr nach ihrem Tod verfolgten, konnten sie die prototypischen Muster und biografischen Korrelate der postmortalen Medienaufmerksamkeit aufdecken sowie systematische Unterschiede in der Art und Weise finden, wie Nachrichten und soziale Medien verstorbene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erinnern.
West et al. (2021) quantifizierten dieses Phänomen, indem sie die Erwähnung von über zweitausend Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in englischsprachigen Online-Nachrichten und sozialen Medien (Twitter) ein Jahr vor und nach dem Tod verfolgten. Dabei maßen sie den starken Anstieg und den schnellen Abfall der Aufmerksamkeit nach dem Tod und entwickelten ein Modell des kollektiven Gedächtnisses als eine Zusammensetzung aus kommunikativem und kulturellem Gedächtnis. Es ergaben sich dabei vier Muster des postmortalen Gedächtnisses sowohl auf den Nachrichtenportalen als auch auf Twitter: Ein Aufblitzen, ein Schweigen, ein Rückgang sowie ein Anstieg in der Zahl der Nennungen der verstorbenen Person, wobei der Anstieg der Medienaufmerksamkeit vor dem Tod bei populären Menschen, die früh eines unnatürlichen Todes starben, am größten war.
Bei etwa einem Viertel der verstorbenen Persönlichkeiten herrschte Schweigen, oftmals erhielten sie nicht einmal einen Nachruf, bei einem Achtel steigt die Zahl der Nennungen zwar kurz an, pendelt sich danach aber auf einem tieferen Niveau als vor dem Tod ein, meist bei Sportlern und Politikern. Nur bei einem Achtel der Menschen übertraf die Zahl der Nennungen nach deren Tod die Zahl der Nennungen zu Lebzeiten, was insbesondere bei Künstlern der Fall war, deren kulturelles Erbe ihren Tod überdauerte. Dies stand dabei im Gegensatz zu Führungspersönlichkeiten und Sportlern, die in erster Linie für ihr Schaffen zu Lebzeiten berühmt sind.
Anmerkung: Nach dem Tod in Erinnerung zu bleiben, ist seit alters her vielen Menschen ein großes Anliegen, sodass in vielen Kulturen die damnatio memoriae, also das absichtliche Auslöschen aus dem kollektiven Gedächtnis, als eine der schwersten denkbaren Strafen galt. Die Verdammung des Andenkens bzw. sogar die die Verfluchung und demonstrative Tilgung des Andenkens an einen Menschen durch die Nachwelt, wobei sich der Begriff vor allem auf Handlungen im Römischen Reich bezieht.
Literatur
West, Robert, Leskovec, Jure & Potts, Christopher (2021). Postmortem memory of public figures in news and social media. Proceedings of the National Academy of Sciences, 118, doi:10.1073/pnas.2106152118.
https://de.wikipedia.org/wiki/Damnatio_memoriae (12-11-21)