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Können Kraken träumen?

    Während des Schlafs wechseln bekanntlich die meisten Wirbeltiergruppen zwischen mindestens zwei Schlafstadien: dem Rapid-Eye-Movement– und dem Slow-Wave-Schlaf, die zum Teil durch wachähnliche bzw. synchrone Hirnaktivität gekennzeichnet sind. Pophale et al. (2023) haben jüngst die neuronalen und verhaltensbezogenen Korrelate von zwei Schlafstadien von Kraken, wirbellosen Meerestieren, die sich vor etwa 550 Millionen Jahren evolutionär von den Wirbeltieren unterschieden und unabhängig voneinander große Gehirne und hochentwickelte Verhaltensweisen entwickelt haben, untersucht und festgestellt, dass der ruhige Schlaf von Kraken rhythmisch durch etwa sechzig Sekunden dauernde Phasen ausgeprägter Körperbewegungen und schneller Veränderungen der Hautmusterung und -struktur unterbrochen wird. Sie zeigten damit, dass diese Phasen homöostatisch reguliert werden, schnell reversibel sind und mit einer erhöhten Erregungsschwelle einhergehen, was ein ausgeprägtes aktives Schlafstadium darstellt.

    Eine computergestützte Analyse der Hautmusterung der Kraken im aktiven Schlaf zeigte dabei eine vielfältige Dynamik durch eine Reihe von Mustern, die bei allen Kraken vorkommen und denen im Wachzustand stark ähneln. Elektrophysiologische Aufzeichnungen mit hoher Dichte aus dem Zentralhirn zeigen, dass die Aktivität des lokalen Feldpotentials während des aktiven Schlafs derjenigen im Wachzustand ähnelt. Die lokale Feldpotential-Aktivität ist in den verschiedenen Hirnregionen unterschiedlich, wobei die stärkste Aktivität während des aktiven Schlafs im oberen Frontal- und Vertikallappen zu beobachten war, anatomisch zusammenhängende Regionen, die mit Lern- und Gedächtnisfunktionen in Verbindung stehen. Während des ruhigen Schlafs sind diese Regionen relativ still, erzeugen aber lokale Feldpotential-Oszillationen, die in Frequenz und Dauer den Schlafspindeln von Säugetieren ähneln.

    Die Vielzahl der Ähnlichkeiten dieser Schlafformen mit Wirbeltieren deutet darauf hin, dass Aspekte dieses zweistufigen Schlafs bei Kraken ebenfalls konvergente Merkmale komplexer Kognition darstellen könnten. Die Ähnlichkeiten zwischen aktivem Schlaf- und Wachzustand könnten aber auch durch eine Vielzahl von anderen Gründen erklärt werden, etwa dass Kraken ihre Hautmuster im Schlaf üben, um ihr Tarnverhalten im Wachzustand zu verbessern, oder einfach nur um die Pigmentzellen aktiv zu erhalten. Möglicherweise durchleben die Kraken aber dabei ihre Erfahrungen im Wachzustand, wie etwa das Jagen oder das Verstecken vor einem Raubtier, nochmals und versuchen vielleicht daraus lernen.

    Übrigens: Mit ihren acht Armen mit Saugnäpfen, dem Eingeweidesack, einem höchst flexiblen Körper ohne jeden Knochen und drei Herzen, die blaues Blut durch ihre Adern pumpen, gehören Kraken zu den fremdartigsten und faszinierendsten Meereswesen. Vor allem aber bestechen die Weichtiere durch ihre enorme Intelligenz, denn manche Spezies täuschen potenzielle Räuber, indem sie die Gestalt eines giftigen Tieres imitieren, oder sie verwandeln sich die formbaren Kopffüßer optisch zum Beispiel in eine Seeschlange oder einen Rotfeuerfisch, manchmal verschmelzen sie auch urplötzlich mit ihrem Untergrund, nehmen Gestalt und Farbe einer Koralle an. In Sekundenbruchteilen ändern sie ihre Hautfarbe – etwa von kreidebleich zu rostrot zu schwarz gebändert, wofür spezielle Muskeln die Form von Pigmentzellen variieren. Sie besitzen neben dem Hauptdenkorgan, das sich wie ein Ring um die Speiseröhre spannt, noch acht neuronale Zentren, jedes davon zuständig für einen der Arme.

    Literatur

    Pophale, Aditi, Shimizu, Kazumichi, Mano, Tomoyuki, Iglesias, Teresa L., Martin, Kerry, Hiroi, Makoto, Asada, Keishu, Andaluz, Paulette García, Van Dinh, Thi Thu, Meshulam, Leenoy & Reiter, Sam (2023). Wake-like skin patterning and neural activity during octopus sleep. Nature, doi:10.1038/s41586-023-06203-4.