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Voraussage der Eigenbewegung

    Die visuell gestützte Kontrolle der Eigenbewegung ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die – falls erforderlich – sofortige Anpassungen erfordert, um auf dem richtigen Weg zu bleiben. Dementsprechend wäre es vorteilhaft, wenn die Verarbeitung der Selbstbewegungsrichtung (Kurs) prädiktiv wäre, wodurch die Kodierung unerwarteter Änderungen beschleunigt würde und nicht durch Aufmerksamkeitsbelastung beeinträchtigt würde. Schmitt, et al. (2021) testeten diese Hypothese durch EEG-Aufzeichnungen bei Menschen und Makaken mit ähnlichen Versuchsprotokollen. Die Probanden betrachteten in einem Oddball-EEG-Paradigma ein zufälliges Punktmuster, das eine Selbstbewegung über eine Bodenfläche simulierte. Standard- und abweichende Versuche unterschieden sich nur durch die simulierte Bewegungsrichtung (vorwärts-links vs. vorwärts-rechts). Die ereigniskorrelierten Potenziale (ERPs) wurden verglichen, um auf das Auftreten einer visuellen Mismatch-Negativität (vMMN) zu testen, einer Komponente, die die präattentive und wahrscheinlich auch prädiktive Verarbeitung von Sinnesreizen widerspiegelt. Die Analyse der ERPs zeigte sowohl bei Menschen als auch bei Affen Anzeichen für eine Fehlanpassung der Vorhersage bei abweichenden Reizen. Beim Menschen wurde eine MMN beobachtet, die 110 ms nach Beginn der Eigenbewegung einsetzte. Bei Affen waren die Spitzenamplituden der Reaktion auf abweichende Stimuli bereits 100 ms nach Beginn der Selbstbewegung im Vergleich zum Standard erhöht. Wir betrachten unsere Ergebnisse als starken Beweis für eine präattentive Verarbeitung visueller Selbstbewegungsinformationen bei Menschen und Affen, die eine ultraschnelle Anpassung der Bewegungsrichtung ermöglicht.

    Die Erkennung von Objekten, die sich in der Umgebung bewegen, ist eine grundlegende Berechnung, die das visuelle System des Menschen durchführt. Diese Berechnung wird durch die Eigenbewegung des Betrachters erheblich erschwert, da sich dabei ja die meisten Objekte über das Netzhautbild bewegen. Verhaltensstudien deuten darauf hin, dass das visuelle System lokale Konflikte zwischen der Bewegungsparallaxe und den binokularen Disparitätssignalen für die Tiefe erkennen und diese Signale verwenden kann, um sich bewegende Objekte zu erkennen. Kim et al. (2022) beschreiben nun einen neuartigen Mechanismus zur Durchführung dieser Berechnung auf der Grundlage von Neuronen im mittleren Temporalbereich von Makaken mit inkongruenter Tiefenabstimmung für binokulare Disparitäts- und Bewegungsparallaxenhinweise. Neuronen mit inkongruenter Abstimmung reagieren dabei selektiv auf Objektbewegungen, und ihre Antworten sind prädiktiv für Wahrnehmungsentscheidungen, wenn die Tiere darauf trainiert wurden, ein sich bewegendes Objekt während der Eigenbewegung zu erkennen. Dieses Ergebnis belegt eine neue funktionelle Rolle für Neuronen mit inkongruenter Abstimmung für mehrere Tiefenreize, d. h., offenbar gibt es eine bestimmte Art von Nervenzellen, die in der Lage sind, zwischen Eigenbewegung und der Bewegung anderer Objekte zu unterscheiden. Dabei hat dieser neu entdeckte Mechanismus den Vorteil, dass er für jede Stelle des Gesichtsfeldes ausgeführt werden kann, was verglichen mit den komplexen Rechenprozessen des Gehirn einen Zeitvorteil bedeutet.

    Literatur

    Kim, HyungGoo R., Angelaki, Dora E., DeAngelis, Gregory C., Clark, Damon A., Moore, Tirin, Nandy, Anirvan S. & Layton, Oliver W. (2022). A neural mechanism for detecting object motion during self-motion. eLife, 11, doi:10.7554/eLife.74971.
    Schmitt, Constanze, Schwenk, Jakob C.B., Schütz, Adrian, Churan, Jan, Kaminiarz, André & Bremmer, Frank (2021). Preattentive processing of visually guided self-motion in humans and monkeys. Progress in Neurobiology, 205, doi:10.1016/j.pneurobio.2021.102117.