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Mathematikunterricht und Gehirnentwicklung

    Zacharopoulos et al. (2021) haben im britischen Bildungssystem SchülerInnen im Alter von 16 bis 18 Jahren untersucht, wie sich ein Verzicht auf Mathematikunterricht auswirken kann. In diesem Bildungsystem können SchülerInnen entscheiden, ob sie die letzten zwei Jahre bis zur Matura noch das Fach Mathematik belegen oder nicht. Wie sich diese Wahl auf die spätere geistige Entwicklung bzw. die Entwicklung des Gehirns auswirkt, hat man nun anhand einer Reihe von Untersuchungen sichtbar gemacht. Unterschiede fanden sich vor allem im Frontallappen, also jener Hirnregion, die mit vielen höheren geistigen Tätigkeiten in Zusammenhang steht, etwa mit logischem Denken, Lernen und Gedächtnisbildung. In dieser Region hatten die Schüler und Schülerinnen aus der Mathematikgruppe deutlich mehr Moleküle des Neurotransmitters GABA, der über die Entwicklung und Plastizität des Gehirns Auskunft gibt. Ähnlich war das Ergebnis psychologischer Tests, denn die SchülerInnen aus der Mathematikgruppe schnitten bei sämtlichen Aufgaben besser ab, d. h., ihr Vorsprung in der Gehirnentwicklung war also nicht nur auf die Mathematik beschränkt. Als die Untersuchungen begonnen wurden, hatten die SchülerInnen nämlich ihre Entscheidung für oder gegen Mathematik noch gar nicht getroffen, wobei zu diesem Zeitpunkt die Neurochemie bei allen sehr ähnlich war und die gefundenen Unterschiede stellten sich erst später ein. Offenbar ist es also tatsächlich die Mathematik bzw. der Mathematikunterricht, die das Gehirn verändern. Dabei konnten Moderatorvariablen wie Wohlstand, Bildung oder der familiäre Hintergrund ausgeschlossen werden. Übrigens gelten diese Ergebnisse nur für Mathematik, denn mit anderen Schulfächern wurden keine Zusammenhänge entdeckt. Diese Ergebnisse zeigen den wechselseitigen Einfluss zwischen Gehirnentwicklung und Bildung auf und demonstrieren die negativen Folgen eines spezifischen Bildungsmangels während der Adoleszenz auf die Gehirnplastizität und allgemeinen kognitiven Funktionen.

    Literatur

    Zacharopoulos, George, Sella, Francesco & Cohen Kadosh, Roi (2021). The impact of a lack of mathematical education on brain development and future attainment. Proceedings of the National Academy of Sciences, 118, doi:10.1073/pnas.2013155118.
    https://science.orf.at/stories/3206971/ (21-06-08)