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Essen zwischen Hunger und Gusto

    Hunger signalisiert bekanntlich dem Körper, dass er nach Nahrung suchen sollte, um das eigene Überleben zu sichern, denn wenn man hungrig ist, sehnt man sich nach Nahrung und isst, wodurch man seinen Körper mit angenehmen Gefühlen und einem allgemeinen Glückszustand belohnt. Netzwerke aus biologischen Schaltkreisen und Signalwegen im Gehirn steuern das Essverhalten von Menschen und Tieren und lösen die damit verbundenen Empfindungen aus. Einer der zentralen Akteure in diesem Netzwerk ist das Hormon Ghrelin. Es wird von Magenzellen freigesetzt, wenn Menschen und Tiere hungrig sind oder fasten, und fördert das Fressverhalten. Peters et al. (2022) fanden nun heraus, dass Ghrelin spezialisierte Nervenzellen auch  in der Amygdala von Mäusen aktiviert, wobei in dieser Gehirnregion, die auch für die Regulierung von Emotionen zuständig ist, das Zusammenspiel zwischen Ghrelin und den Nervenzellen die Nahrungsaufnahme fördert und sowohl Hunger als auch die mit dem Essen verbundenen Belohnungsgefühle vermittelt.

    Bisher wurde die Amygdala vor allem im Zusammenhang mit Gefühlen wie Angst und Belohnungsempfinden untersucht und es wurde angenommen, dass die Regulation des Fressverhaltens in anderen Gehirnbereichen stattfindet, etwa im Hypothalamus. Man analysierte einzelne Nervenzellen in der zentralen Amygdala und untersuchten ihre Boten-RNA-Moleküle, also die Arbeitskopien der Gene (mRNA). Es zeigte sich, dass die Zellen in neun verschiedenen Zellclustern organisiert sind, wobei einige dieser Cluster den Appetit fördern, während andere ihn hemmen. Außerdem passen die Zellen ihre Produktion von mRNAs an, wenn die Mäuse gefüttert werden oder fasten. Man konnte damit zum ersten Mal zeigen, dass das Hunger-Hormon Ghrelin auch auf Zellen in der zentralen Amygdala wirkt, und dort eine kleine Untergruppe von Zellclustern aktiviert, die gemeinsam durch die Anwesenheit des Proteins Htr2a gekennzeichnet sind, um die Nahrungsaufnahme zu steigern. Dabei werden die Htr2a-Neurone nach mehrstündigem Fasten oder bei Anregung durch das Hormon Ghrelin aktiv. Die Zellen reagierten auch, man den Mäusen Nahrung vorsetzten, sodass Ghrelin mehrere Funktionen erfüllt: wenn Mäuse hungrig sind, aktiviert Ghrelin die appetitanregenden Hirnregionen, um die Tiere zum Fressen zu animieren. Außerdem steigert das Hormon die Aktivität in Gehirnarealen wie der Amygdala, die Belohnungsgefühle vermitteln, was vermutlich ein Anreiz ist, noch mehr zu fressen, sodass auf diese Weise Ghrelin die Schmackhaftigkeit der Nahrung in Abhängigkeit davon erhöht, wie gesättigt die Mäuse gerade sind. Wenn die Tiere nach einer Fastendiät hungrig waren, war die Aktivität der Htr2a-Neuronen allerdings nicht erforderlich, damit die Mäuse mit dem Fressen begannen, d. h., dass in diesem Fall der Geschmack der Nahrung eher nebensächlich ist. Die neuronalen Netzwerke, die solche Gefühle vermitteln, sind offensichtlich eng mit denen verbunden, die die Nahrungsaufnahme kontrollieren.

    Dieses Wissen könnte zu neuen therapeutischen Ansätzen zur Linderung von Essstörungen führen und ist ein weiterer wichtiger Baustein im Puzzle des Verständnisses, wie das Gehirn das Essverhalten steuert.

    Literatur

    Peters, Christian, He, Songwei, Fermani, Federica, Lim, Hansol, Mayer, Christian & Klein, Rüdiger (2022). Transcriptomics reveals amygdala neuron regulation by fasting and ghrelin thereby promoting feeding. bioRxiv, doi:10.1101/2022.10.21.513224.
    https://www.bi.mpg.de/news/2023-05-klein?c=2442217 (23-05-22)