Forscher haben sich in einer umfassenden Studie zum Thema Verschwörungsdenken eingehend damit befasst, welche Faktoren und Persönlichkeitsmerkmale mit dem Glauben an Verschwörungstheorien in Zusammenhang stehen und ihn begünstigen oder ihm entgegenwirken. Mit über 3000 Befragten in Österreich, Deutschland und der Schweiz, die nach Alter, Geschlecht und Wohnort die Gesamtbevölkerung repräsentieren, handelt es sich um die erste große quantitative Untersuchung im deutschsprachigen Raum, die sich diesem Phänomen in diesem Ausmaß widmet.
Die Ergebnisse der Studie zeigen zunächst erwartungsgemäß, dass eine Ablehnung der Covid-19-Schutzmaßnahmen mit einer hohen Anfälligkeit für Verschwörungsglauben einhergeht. Überraschender ist hingegen der Befund, dass regelmäßige Kirchgänger eher zu konspirativem Denken neigen. Ob und inwiefern der Glaube an eine höhere Macht tatsächlich den Verschwörungsglauben begünstigt, muss in weiterführenden Studien noch genauer untersucht werden.
Darüber hinaus konnten weitere Faktoren identifiziert werden, die das Anfälligwerden für Verschwörungserzählungen begünstigen, wenn auch in geringerem Ausmaß: Dazu zählen beispielsweise das Haben von zwei oder mehr Kindern, Rauchen, das Alleinsein sowie Extraversion und Nichtwähler-Sein. Als wirksamer Schutz vor konspirativem Denken erwiesen sich hingegen Persönlichkeitsmerkmale wie Optimismus und Vertrauensbereitschaft. Auch ein höheres Bildungsniveau, ein höheres Einkommen sowie ein stabiles soziales Umfeld mit guten Freunden tragen dazu bei, kritisch und reflektiert an Informationen heranzugehen und Verschwörungserzählungen skeptisch zu begegnen.
Erstmals wurde in dieser Studie auch Komplexitätsdenken als beeinflussender Faktor erhoben – also die Fähigkeit, nicht offensichtliche Zusammenhänge in komplexen realen Sachverhalten erkennen und verstehen zu können. Dieses Vermögen, Dinge in ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen, scheint ebenfalls einen Schutz vor dem Verfallen in Verschwörungsdenken zu bieten.
Die Fähigkeit der Befragten, Komplexität zu verstehen und damit umzugehen, erweist sich als ein wichtiger Faktor bei der Einschätzung ihrer Kompetenz. Dabei zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang mit der Neigung zu Verschwörungstheorien: Eine hohe Kompetenz im Umgang mit Komplexität fungiert als Schutzfaktor, wohingegen eine geringe Kompetenz die Anfälligkeit einer Person für Verschwörungsglauben erhöht. Komplexitätsdenken ist nicht allein von der individuellen Intelligenz abhängig, sondern stellt eine erlernbare kognitive Fähigkeit dar, Systeme und Zusammenhänge ganzheitlich zu erfassen und zu durchdringen.
Diese Fähigkeit lässt sich gezielt fördern, zum Beispiel durch Schulungen und Trainings, die das systemische Denken und die Herangehensweise an vielschichtige Problemstellungen in den Fokus rücken. Je besser Menschen dazu in der Lage sind, Phänomene und Ereignisse in ihren vielfältigen Ursachen, Wechselwirkungen und Implikationen zu verstehen, desto weniger anfällig sind sie für vereinfachende Erklärungsmuster und Verschwörungsnarrative.
Ein ausgeprägtes Komplexitätsdenken ermöglicht es, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, Ambiguitäten auszuhalten und Mehrdeutigkeiten zu akzeptieren. Dies erfordert zugleich eine gewisse kognitive Flexibilität und Offenheit gegenüber unterschiedlichen Perspektiven. Personen, die über diese Fähigkeiten verfügen, sind daher weniger geneigt, Ereignisse monokausal zu deuten oder Sündenböcke zu suchen. Sie sind besser in der Lage, die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher, politischer und sozialer Phänomene zu erfassen und differenziert zu bewerten.
Insofern kommt der Förderung von Komplexitätsdenken und systemischem Verständnis eine wichtige Rolle dabei zu, Menschen vor dem Abdriften in Verschwörungsglauben zu bewahren und ihre kritische Urteilskraft zu stärken. Dies kann nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch im Bildungssystem und in öffentlichen Diskursen ansetzen, um die kognitiven Fähigkeiten der Bürger langfristig zu stärken.