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Was ist pathologisches Lügen?

    Als pathologisches Lügen bezeichnet man ein Verhalten, bei dem Menschen in übermäßiger und oft zwanghafter Weise lügen. Während die meisten Menschen nur gelegentlich und meist aus sozialen Gründen lügen – beispielsweise um andere nicht zu verletzen oder sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen –, gibt es eine sehr kleine Gruppe von Menschen, die extrem häufig lügen, teils mehr als 20-mal täglich. Solche Menschen werden als pathologische Lügner bezeichnet. Sie fallen dadurch auf, dass sie ständig und oft ohne klaren äußeren Anlass lügen. Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältig und bislang noch nicht vollständig verstanden.

    Wissenschaftlich ist pathologisches Lügen ein relativ neues Forschungsfeld. Zwar wurde das Phänomen bereits im 19. Jahrhundert von Psychiatern wie Anton Delbrück und später Ernest Dupré beschrieben, doch eine klare und einheitliche Definition gibt es bis heute nicht. Verschiedene Forscher wie Timothy Levine, Drew Curtis und Christian Hart haben festgestellt, dass pathologische Lügner unter ihrem Verhalten leiden, da es zu Stress, Problemen in Beziehungen, Vertrauensverlust und sozialer Isolation führt. Die Lügen erscheinen oft zwanghaft, wobei die Betroffenen selbst angeben, dass sie gar nicht genau wissen, warum sie lügen. Einige beschreiben das Lügen als eine Art inneren Druck oder Zwang, der kurzfristig Erleichterung oder Angstreduktion bringt, aber anschließend Schuldgefühle und Scham auslöst.

    Pathologisches Lügen ist bislang keine eigenständige Diagnose in psychischen Klassifikationssystemen wie dem DSM oder der ICD. Stattdessen wird es oft als Symptom anderer psychischer Erkrankungen wie Persönlichkeitsstörungen eingeordnet. Curtis und Hart argumentieren jedoch dafür, dass es sich um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt, das auch entsprechend diagnostiziert und behandelt werden sollte. In ihren Studien zeigten sie, dass pathologisches Lügen mit erheblichen Einschränkungen im Alltag und großem persönlichen Leid einhergeht. Betroffene beginnen oft schon im Jugendalter mit dem exzessiven Lügen und können es später kaum noch kontrollieren.

    Ein möglicher therapeutischer Ansatz besteht in der kognitiven Verhaltenstherapie. Dabei wird versucht, die Lügen nicht zu bestrafen, sondern die Wahrheit gezielt zu bestärken – etwa indem ehrliche Aussagen positiv verstärkt und Lügen ignoriert werden. Auch Angehörige können auf diese Weise unterstützend wirken. Dennoch ist die Behandlung schwierig, da pathologisches Lügen tief im Verhalten verankert und häufig von Impulsen gesteuert ist.

    Einige plädieren dafür, pathologisches Lügen stärker in den Fokus zu rücken, um betroffenen Menschen besser helfen zu können. Noch allerdings ist die Datenlage dünn, und viele Fachleute halten eine eigene Diagnose im Moment für verfrüht. Dennoch sind sich die meisten einig, dass eine genauere Erforschung und Definition notwendig ist, um Leidensdruck zu reduzieren und gezieltere therapeutische Angebote zu ermöglichen.

    Literatur

    Curtis, D. A., Hart, C. L. (2022). Pathological lying: Psychotherapists‘ experiences and ability to diagnose. American Journal of Psychotherapy, 15.
    Stangl, W. (2019, 4. Juli). Pseudologia phantastica. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
    https://lexikon.stangl.eu/4152/pseudologia-phantastica.
    Stangl, W. (2022, 4. Mai). Lügen, Täuschen und Verdecken. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/KommLuegen.shtml