Die Frage, wann ein Trauma wirklich ein Trauma ist, aus psychologischer Sicht, berührt das Verständnis, was unter einem Trauma zu verstehen ist und wie es sich auf die Psyche des Individuums auswirkt. Ein Trauma ist nicht einfach ein belastendes Ereignis, sondern bezieht sich auf eine tiefgreifende psychische Verletzung, die mit starken negativen Auswirkungen auf die emotionale, kognitive und körperliche Gesundheit verbunden ist. Es geht dabei um ein Ereignis, das die psychische Belastbarkeit einer Person übersteigt und zu lang anhaltenden, oft tief verwurzelten emotionalen und mentalen Reaktionen führt.
Ein Trauma ist definiert als eine emotionale Reaktion auf ein extrem belastendes oder erschütterndes Ereignis, das die individuellen Verarbeitungsmechanismen überfordert und zu schwerwiegenden psychischen und physischen Reaktionen führen kann. Trauma kann auf verschiedene Arten erlebt werden, z. B. durch: Akute Ereignisse wie ein Unfall, Naturkatastrophen, Gewalt oder der Verlust eines geliebten Menschen, langfristige Belastungen wie Missbrauch, Vernachlässigung oder chronische emotionale Belastung, Beobachtungen traumatischer Ereignisse (z. B. Zeuge von Gewalt).
Nicht jede belastende oder schmerzhafte Erfahrung führt aber zu einem Trauma. Ob ein Ereignis zu einem Trauma wird, hängt von mehreren Faktoren ab:
- Intensität des Ereignisses: Ein Trauma tritt in der Regel auf, wenn das Ereignis extrem intensiv oder erschütternd ist und die betroffene Person die Kontrolle oder die Fähigkeit zur Bewältigung verliert. Solche Ereignisse übersteigen oft die normalen Grenzen des menschlichen Erlebens und können die Vorstellungskraft und das Verständnis der Welt einer Person erschüttern.
- Subjektive Wahrnehmung: Der individuelle Wahrnehmungs- und Bewertungsprozess des Ereignisses ist entscheidend. Nicht jeder Mensch reagiert gleich auf ein ähnliches Ereignis. Was für den einen als traumatisch empfunden wird, ist für den anderen möglicherweise eine überwältigbare Belastung. Ein Trauma entsteht, wenn das Ereignis für die betroffene Person überwältigend ist, die Verarbeitungsmechanismen überfordert oder es zu einem Zustand von Hilflosigkeit und Ohnmacht führt.
- Psychologische Resilienz: Die psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) einer Person beeinflusst maßgeblich, ob und wie sie ein traumatisches Ereignis verarbeitet. Personen, die über eine hohe Resilienz verfügen oder bereits über emotionale Ressourcen und Unterstützung verfügen, haben größere Chancen, belastende Ereignisse zu verarbeiten, ohne dass ein Trauma entsteht.
- Wiederholung und Dauer der Belastung: Ein einmaliges belastendes Ereignis kann ein Trauma verursachen, aber wiederholte oder anhaltende Belastungen (z. B. über längere Zeiträume von Missbrauch oder Vernachlässigung) sind besonders stark in ihrer Fähigkeit, ein Trauma zu verursachen. Hierbei spricht man oft von komplexem Trauma, das besonders tiefgreifende und langwierige Auswirkungen hat.
Ein Trauma beeinflusst tiefgreifend die psychische Gesundheit einer Person und kann zu einer Vielzahl von Symptomen und Störungen führen. Zu den häufigsten psychischen Reaktionen auf ein Trauma gehören: Eine der häufigsten und bekanntesten Folgen eines Traumas ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die durch intensive, wiederkehrende Erinnerungen an das traumatische Ereignis, Flashbacks, Albträume und starke emotionale Erregung ausgelöst wird. Personen mit PTBS erleben eine ständige Konditionierung durch das Trauma, die die Wahrnehmung der Realität und der eigenen Emotionen stark beeinflusst. Traumatisierte Personen können emotionale Taubheit erleben, was bedeutet, dass sie Schwierigkeiten haben, positive Emotionen zu empfinden oder sich von negativen Erfahrungen zu distanzieren. Sie ziehen sich oft auch von sozialen Interaktionen zurück und meiden Orte oder Situationen, die sie an das Trauma erinnern könnten. Traumatisierte Menschen entwickeln darüber hinaus oft negative kognitive Muster, wie z. B. ein übermäßiges Gefühl der Schuld oder Scham, das Gefühl der Ohnmacht oder die Überzeugung, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist. Diese kognitiven Verzerrungen können die Wahrnehmung der Realität verzerren und das Erleben von Sicherheit und Kontrolle stark beeinträchtigen. Traumata können nicht nur auf psychischer, sondern auch auf körperlicher Ebene zu Störungen führen. Viele Menschen mit Trauma erleben körperliche Symptome wie chronische Schmerzen, Schlafstörungen oder eine erhöhte Reizbarkeit des Nervensystems (z. B. übermäßige Schreckreaktionen, die „Hypervigilanz“ genannt werden).
Die Diagnose eines Traumas aus psychologischer Sicht erfolgt oft anhand spezifischer Kriterien, wie sie in den Diagnostischen und Statistischen Manual der Psychischen Störungen (DSM-5) festgelegt sind. Hierbei werden die Schwere des Traumas und die Reaktionen des Betroffenen in einem strukturierten diagnostischen Rahmen bewertet. Wesentlich sind dabei:
- Ein extrem belastendes Ereignis (z. B. Bedrohung des Lebens, sexueller Missbrauch, Naturkatastrophen).
- Wiederholte und intensive Erinnerungen an das Trauma (z. B. Flashbacks, Albträume).
- Anhaltende negative Veränderungen in der Stimmung oder im Denken (z. B. Schuld, Scham, Misstrauen).
- Ständige Übererregung und Reizbarkeit (z. B. Schlafstörungen, Wutausbrüche).
Ein Trauma ist daher dann wirklich ein Trauma, wenn es zu einer tiefgreifenden psychischen und emotionalen Störung führt, die die Fähigkeit des Individuums zur Verarbeitung und zum Weiterleben beeinträchtigt. Es ist nicht nur ein „schlechtes Erlebnis“ oder eine schwierige Zeit, sondern eine tiefgreifende psychische Belastung, die das gesamte Leben der betroffenen Person beeinflussen kann. Ein Trauma wird dann zu einem Trauma, wenn die psychischen Folgen den Betroffenen über längere Zeiträume hinweg begleiten und zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Lebensqualität führen.
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