Verschwörungstheorien wirken insbesondere für solche Menschen attraktiv, die von einem Gefühl des Kontrollverlustes geplagt werden, wenn die Umstände für Probleme vermeintlich jenseits der eigenen Einflussmöglichkeiten liegen. In Untersuchungen neigten Menschen etwa besonders zum Glauben an das Übernatürliche, wenn ihnen Forscher zuvor das Gefühl von Machtlosigkeit einimpften, wobei dies auch bei Menschen mit sozialer Ausgrenzung gilt, denn wer entsprechende Erfahrungen gemacht hat, ist empfänglich für den Glauben an Verschwörungen, die an der vermeintlich eigentlichen misslichen Lage schuld sind. Verschwörungstheorien sind in der Regel emotional hoch aufgeladen, so dass diese bei vielen Menschen den klaren Verstand ausschalten. Emotionen sind aber nicht so leicht regulierbarund kontrollierbar. Der starke Einfluss von Emotionen auf das menschliche Denken und Handeln hat unter anderem evolutionäre Gründe, d. h., sie sind tief in den Genen verankert. Emotionen erlauben es, schnell zu handeln, wenn man eine Situation nicht beurteilen kann oder man in Gefahr ist. Früher war das etwa auf einen Menschen zulaufende Tier, heute ist es vielleicht ein herbeirasendes Auto. Dazu passt, dass der Effekt von Emotionen bei der Verarbeitung negativer Informationen besonders stark zu sein scheint. Das geht soweit, dass man selbst Informationen, die dem eigenen Faktenwissen widersprechen, relativieren, wenn sie in einen emotionalen Kontext eingebunden sind. Man hat Probandinnen und Probanden in einer Studie zum Beispiel einen Text vorgelegt, in dem es um einen sprechenden Baum ging. War der vorausgehende Text emotional, schien ihre Fähigkeit, Behauptungen kritisch in Bezug zu ihrem Weltwissen zu verarbeiten, gewissermaßen betäubt, d. h., die Reaktion des Gehirns auf die Verletzung ihres Wissens war deutlich reduziert.
Menschen müssen sich nicht nur mit der Glaubwürdigkeit der Quelle einer Nachricht auseinandersetzen, sondern auch noch stärker mit ihrer Emotionen. In der Psychologie spricht man von Emotionsregulation, was bedeutet, dass man sein Denken bewusst hinterfrat und Abstand gewinnt. Fragen, die man sich stellen könnte, wären etwa: „Dieses Verhalten ist sehr negativ, aber wie wahrscheinlich ist es, dass diese Person das auch getan hat? Wie fühlt man sich, wenn man zu Unrecht beschuldigt wird?“
Ein Problem besteht darin, dass die Digitalisierung und die Menge an Informationen, die jeden Moment auf die Menschen einströmt, den Einfluss von Emotionen verstärkt, weil ihr Gehirn so viele Informationen verarbeiten muss, dass es die am leichtesten zu verarbeitenden Informationen dankbar annimmt. Das ist für einen aufgeklärten Medienkonsum keine gute Nachricht. Aufgabe der neurokognitiven Forschung besteht darin, die kognitiven Grundlagen der Verarbeitung falscher und wenig vertrauenswürdiger Informationen zu ergründen und darauf aufbauend Wege aufzuzeigen, über die man seine emotionalen Reaktionen und seine Urteile relativieren kann.
Literatur
Stangl, W. (2019). Stichwort: ‚Verschwörungstheorie ‚. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/23563/verschwoerungstheorie (19-02-09)