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Warum man Texte beim Korrigieren rückwärts lesen sollte

    Texte beim Korrigieren rückwärts zu lesen ist eine bewährte und äußerst effektive Methode, um Rechtschreib-, Grammatik- und Tippfehler mit erhöhter Genauigkeit zu erkennen und zu beseitigen. Der Hauptgrund für diese Wirksamkeit liegt in der Funktionsweise unseres Gehirns beim normalen Leseprozess. Im alltäglichen Lesen konzentriert sich unser Geist primär auf die Erfassung des Inhalts und der Bedeutung des Textes. Dabei neigt er dazu, automatisch Informationen zu ergänzen, die er aufgrund des Kontextes erwartet oder aus der eigenen Erfahrung ableitet. Dies führt dazu, dass wir, insbesondere bei Texten, die wir selbst verfasst haben, dazu tendieren, kleinere Fehler, wie Buchstabendreher, falsche Endungen, fehlende Wörter oder sogar subtile grammatikalische Ungenauigkeiten, unbewusst zu übersehen. Wir wissen ja im Grunde, was wir aussagen wollten, und diese Intention überdeckt oft die tatsächlichen Fehler im Schriftbild.

    Das Rückwärtslesen unterbricht diesen gewohnten Lesefluss auf fundamentale Weise. Indem wir den Text von hinten nach vorne betrachten, wird die automatische Konstruktion eines zusammenhängenden Sinnzusammenhangs verhindert. Stattdessen werden wir gezwungen, jedes Wort, jede Wortgruppe oder jeden Satz isoliert zu betrachten und zu analysieren. Diese erzwungene Isolation lenkt unsere Aufmerksamkeit verstärkt auf die formale Ebene des Textes, also auf die korrekte Schreibweise, die grammatikalische Struktur und die Zeichensetzung, anstatt auf den Inhalt und die vermutete Bedeutung. Fehler, die im normalen Lesefluss unbemerkt bleiben oder lediglich ein kurzes Stirnrunzeln hervorrufen würden, stechen nun plötzlich hervor wie ein roter Faden auf weißem Grund. Das Gehirn wird gezwungen, sich aktiv mit der Oberfläche des Textes auseinanderzusetzen, anstatt automatisch mitzudenken, zu ergänzen und zu korrigieren.

    Darüber hinaus verringert das Rückwärtslesen effektiv die sogenannte Betriebsblindheit, ein Phänomen, das bei Autoren und Lektoren gleichermaßen auftritt. Betriebsblindheit beschreibt die Tendenz, eigene Fehler oder Ungenauigkeiten in Texten, mit denen man intensiv vertraut ist, nicht mehr zu erkennen. Die wiederholte Auseinandersetzung mit dem Text führt zu einer Gewohnheit und einer Art „Vorwegnahme“ des Inhalts, die das Erkennen von Fehlern erschwert. Das Rückwärtslesen durchbricht diese Gewohnheit und zwingt uns, den Text aus einer völlig neuen Perspektive zu betrachten, wodurch die Chance steigt, auch die kleinsten Fehler zu entdecken.

    Besonders in der kritischen Endphase einer Überarbeitung, wenn der Inhalt des Textes bereits feststeht und die Argumentation ausgereift ist, entfaltet das rückwärtsgerichtete Lesen sein volles Potential. In dieser Phase verschiebt sich der Fokus von der inhaltlichen Kohärenz hin zur sprachlichen und formalen Perfektion. Das rückwärtsgerichtete Lesen zwingt das Gehirn, sich nicht auf den Inhalt zu konzentrieren, sondern auf die einzelnen Wörter und deren korrekte Schreibweise, die Grammatik und die Zeichensetzung. Da man den Text nicht in seiner gewohnten chronologischen Reihenfolge liest, wird die Gefahr minimiert, dass das Gehirn Fehler „errät“ oder überspringt.

    Es ist wichtig zu betonen, dass diese Methode keine umfassende inhaltliche Prüfung ersetzen kann und soll. Die Logik der Argumentation, die Vollständigkeit der Informationen oder die Schlüssigkeit der Beweisführung müssen weiterhin separat überprüft werden. Dennoch erweist sich das rückwärtsgerichtete Lesen als ein hervorragendes Werkzeug, um Fehler auf Wortebene, wie beispielsweise Tippfehler, falsche Kommasetzung, verwechselte Buchstaben oder unglückliche Formulierungen, aufzuspüren, die beim normalen, fließenden Lesen leicht übersehen werden. Es ist somit eine ideale Ergänzung zu anderen Korrekturmethoden und trägt wesentlich dazu bei, die Qualität und Professionalität eines Textes zu steigern. Indem man sich die Zeit nimmt, einen Text auch einmal „auf den Kopf zu stellen“, investiert man in dessen Klarheit, Präzision und Glaubwürdigkeit.