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Wann ist etwas schön?

    Aenne Brielmann und ihr Team vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen wollen verstehen, wie das Schönheitsempfinden zustande kommt und welchen Einfluss die Gestaltung und die Umgebung auf das Wohlbefinden hat. Ein- und derselbe äußere Reiz kann im Gehirn unterschiedliche Reaktionen hervorrufen, denn ein Geräusch etwa gefällt dem einen, dem anderen aber nicht. Es geht also darum, wie ein bestimmter Input in einen Output wie Mögen oder Ablehnung umgewandelt wird, sodass man ein Modell entwickeln und trotz individueller Unterschiede Vorhersagen dazu machen, wie ein Reiz verarbeitet wird. Dabei hat man für diesen Vorgang eine Theorie in Form eines mathematischen Modells aufgestellt, mit dem man eines Tages vorhersagen kann, welche Dinge dA Gehirn besonders mag und welche Veränderungen in IM Lebensumfeld Gesundheit und Wohlbefinden steigern können.

    Dieser Ansatz basiert darauf, dass das Gefühl, etwas zu mögen, bedeutet, dass ein Sinneseindruck für das sensorisches System gut ist, wobei gut in diesem Zusammenhang heißt, dass das Gehirn den Eindruck leicht verarbeiten kann und dieser ihm dabei hilft, vorherzusagen, ob es vergleichbare gute Eindrücke in der Zukunft machen kann. Wenn man eine für das Individuum angenehmere Möglichkeit wählt, entscheidet man sich also für eine Sinneserfahrung, die einfacher zu verarbeiten ist und aus der man etwas lernen kann. Dieser Belohnungscharakter bringt Menschen dann dazu, solche Erfahrungen immer wieder machen zu wollen.

    Beispiel: Jedes Jahr besuchen Millionen von Menschen Barcelona und flanieren dort durch „Las Ramblas“, die angeblich schönste Straße der Welt. Was macht diese Straße so besonders? Warum empfinden so viele Menschen diesen Ort als schön? In der Architektur- und Designwelt gilt meist die Annahme, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liegt. In der Wissenschaft weiß man jedoch, dass manche ästhetischen Vorlieben biologisch begründet sind. Um das Empfinden visueller Schönheit zu erfassen und zu messen, setzt man dabei bewusst keine Fragebögen ein, denn diese würden vor allem widerspiegeln, was Menschen aufgrund ihrer Prägung als angenehm und schön empfinden, weil etwa ihr Kunstverständnis oder die Gewöhnung an heutige Städte in die Antworten einfließen. Bei dieser Untersuchung nutzte man die Technik des Eye-tracking, bei der man mit Kameras das Blickfeld und die Augenbewegungen der Betrachter aufnimmt. Computerprogramme berechnen anschließend, wohin die Betrachter geschaut haben, denn mit dieser Methode kann man die unbewusste Aufmerksamkeit erfassen, die auch Vorlieben und Gefallen andeutet. Bekanntlich blicken schon Kleinkinder unbewusst auf angenehme Gegenstände und richten sogar ihren Körper auf solche Objekte aus.

    Viele Studien haben bestätigt, dass Menschen Dinge mögen, die der Natur ähneln, wobei nicht nur das Aufgreifen natürlicher Elemente wie Sonnenlicht, Wolkenformationen, Baumäste, Küstenlinien, Blumenblüten und Schneeflocken einen positiven Effekt darauf hat, wie man seine Umgebung empfindet, sondern auch abstrakte Merkmale können von der Natur abgeschaut werden. Das bekannteste dieser Merkmale ist das der Fraktalität, ein Prinzip, bei dem das Ganze seinen Bestandteilen ähnelt. Man findet fraktale Strukturen nicht nur in der Biologie, sondern auch in Musik und Mathematik. Ein Baum ist ein gutes Beispiel für ein fraktales Bauprinzip: Die Struktur eines Astes ähnelt dem des gesamten Baumes, die Teiläste wiederum dem Hauptast. Dieses Muster wiederholt sich in fortwährend kleinerer Form, bis hin zur Verzweigung der Blattadern, d. h., ein Baum ist also visuell anregend. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Selbstähnlichkeit. Eye-Tracking-Experimente zeigen, dass Menschen auch eine Vorliebe für Fraktale in der Architektur besitzen, denn je mehr eine Fassade fraktalen Mustern entspricht, umso eher verweilen die Augen auf ihr. Tatsächlich beinhalten die meisten traditionellen Architekturstile solche fraktalen Elemente, während eine leere Beton- oder Glasfassade hingegen den Augen nichts zu bieten hat

    Warum also finden Touristinnen und Touristen „Las Ramblas“ so schön? Weil die Straße dem Spaziergänger immer neue stimulierende Reize präsentiert. Ihre Architektur ist einfach zu verarbeiten aber gleichzeitig komplex genug, um weitere Lernerfahrungen zu sammeln – genauso, wie manche Menschen Spiele am stärksten motivieren, wenn sie nicht zu schwer und nicht zu leicht sind. Die aufeinanderfolgenden Reize von „Las Ramblas“ fördern einerseits die Fortbewegung, gleichzeitig sinken Anspannung und Stress. Diese positive Wirkung der Umgebung auf das Gehirn empfindet man also als schön, denn Schönheit verringert Stress und fördert das Wohlbefinden. Es ist also nicht verwunderlich, dass Menschen weniger gestresst sind, wenn sie in grüneren Stadtteilen leben oder arbeiten, wobei übrigens Kunst denselben Effekt hervorrufen kann.

    Zum Begriff: Fraktalität ist ein Terminus aus der Mathematik, der sich ursprünglich auf geometrische Objekte bezieht, die aus einem Muster bestehen, das sich bei Vergrößerung wiederholt. Fraktale sind eine faszinierende und vielseitige Klasse von geometrischen Objekten und in der Natur weit verbreitet, etwa in Baumkronen, Wolken, Küstenlinien und Blumen, kommen aber auch in technischen Anwendungen vor, wie etwa in der Bildverarbeitung und der Computergrafik. Fraktale werden oft deshalb als schön empfunden, weil sie ein Gefühl von Komplexität und Unendlichkeit vermitteln und sind für viele Menschen ein Symbol für die Ordnung und Schönheit der Natur. Fraktale sind sie oft sehr komplex und detailliert, was  ein Gefühl von Faszination und Staunen hervorrufen kann, und haben oft eine ästhetische Anziehungskraft, denn so weisen viele Fraktale eine geschwungene Form auf, die mit Weichheit und Eleganz assoziiert wird. Fraktale vermitteln nicht selten ein Gefühl von Unendlichkeit, da Fraktale bei Vergrößerung immer wieder das gleiche Muster zeigen, was ein Gefühl von Ruhe und Frieden hervorrufen kann.

    Literatur

    Brielmann, Aenne (2023). Das Geheimnis der Schönheit.
    WWW: https://www.mpg.de/20647417/das-geheimnis-der-schoenheit?c=2191 (20-07-21)