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Gestaltpsychologie und KI-Forschung

    Der Zusammenhang zwischen der Gestaltpsychologie und der modernen KI-Forschung liegt in derWahrnehmung und Mustererkennung. Während die Gestaltpsychologie menschliche Wahrnehmung als einen Prozess beschreibt, der das Ganze vor den einzelnen Teilen erkennt, versucht die moderne KI, ähnliche holistische Ansätze in der Datenverarbeitung und insbesondere in derBildverarbeitung undComputer Vision zu implementieren. Das Ziel ist es, dass KI-Systeme Objekte nicht nur anhand ihrer individuellen Merkmale (wie Kanten, Farben) identifizieren, sondern diese Merkmale als Teil eines kohärenten Ganzen wahrnehmen.

    Die Gestaltpsychologie: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

    Die Gestaltpsychologie, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland entstand, revolutionierte die Sicht auf die menschliche Wahrnehmung. Ihr Kernprinzip ist, dass Menschen nicht einzelne Sinneseindrücke isoliert verarbeiten, sondern diese sofort zustrukturierten, ganzheitlichen Formen (Gestalten) organisieren. Die bekanntesten Regeln, die diesen Prozess beschreiben, sind die Gestaltgesetze. Dazu gehören unter anderem:

    • Gesetz der Nähe: Elemente, die nahe beieinander liegen, werden als zusammengehörig wahrgenommen.
    • Gesetz der Ähnlichkeit: Ähnliche Elemente (z. B. in Farbe, Form oder Größe) werden als Gruppe wahrgenommen.
    • Gesetz der Geschlossenheit: Unser Gehirn neigt dazu, unvollständige Formen zu vervollständigen, um sie als einheitliches Objekt zu erkennen.
    • Gesetz der guten Fortsetzung (Kontinuität): Elemente, die eine durchgehende Linie oder Kurve bilden, werden als zusammengehörig wahrgenommen.

    Diese Gesetze erklären, warum wir beispielsweise in einer Ansammlung von Punkten sofort ein Dreieck oder einen Kreis sehen, auch wenn die Linien nicht vollständig gezeichnet sind.

    Anwendung in der modernen KI-Forschung

    Lange Zeit dominierten in der KI-Forschungatomistische Ansätze, bei denen Wahrnehmung als die schrittweise Analyse einzelner Merkmale verstanden wurde. Die Gestaltpsychologie wurde in der frühen KI-Forschung zwar referenziert, geriet dann aber in den Hintergrund. Mit dem Aufkommen vontiefen neuronalen Netzen 🧠 und Deep Learning gewinnt der holistische Ansatz der Gestaltpsychologie jedoch wieder an Relevanz.

    Moderne KI-Systeme, insbesondere im Bereich derComputer Vision, nutzen Prinzipien, die den Gestaltgesetzen ähneln, um die Wahrnehmung von Objekten zu verbessern:

    • Mustererkennung: Ein neuronales Netz, das darauf trainiert ist, Gesichter zu erkennen, lernt nicht nur, einzelne Merkmale wie Augen, Nase und Mund zu identifizieren. Vielmehr erkennt es dieGesamtkonfiguration dieser Merkmale und ihre räumlichen Beziehungen zueinander als eine kohärente „Gestalt“ des Gesichts.
    • Segmentierung: Bei der Bildsegmentierung geht es darum, ein Bild in logische Regionen oder Objekte zu unterteilen. Algorithmen nutzen hier Gestalt-ähnliche Prinzipien, um zusammengehörige Pixel (z. B. auf Basis von Nähe, Farbe oder Textur) zu einer einzigen Gruppe zu segmentieren, die ein Objekt repräsentiert. Dies ist entscheidend für Anwendungen wie autonomes Fahren, bei dem das System Fußgänger, Fahrräder und andere Fahrzeuge als vollständige Einheiten erkennen muss, nicht als einzelne, unzusammenhängende Merkmale.
    • 3D-Rekonstruktion: Bei der Rekonstruktion von dreidimensionalen Objekten aus zweidimensionalen Bildern verwenden Algorithmen die Gestaltgesetze der Geschlossenheit und Kontinuität, um Lücken in der Datenpunktwolke zu schließen und eine zusammenhängende 3D-Form zu erzeugen.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Gestaltpsychologie der KI-Forschung eingrundlegendes Modell für die Wahrnehmung liefert. Sie inspiriert Entwickler dazu, KI-Systeme zu schaffen, die nicht nur Datenpunkte verarbeiten, sondern auch in der Lage sind, einesinnvolle Organisation und Struktur in diesen Daten zu erkennen, ähnlich wie es das menschliche Gehirn tut.

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