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Zur Inflation des Traumabegriffes

    Der Begriff „Trauma“ hat seinen Ursprung im Altgriechischen und kann mit „Wunde“ übersetzt werden. Allerdings ist nicht jede Wunde als Trauma zu bezeichnen, da ein Trauma ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten darstellt. Experten warnen allerdings davor, inzwischen beinahe jedes Lebensereignis als potentielles Trauma zu bezeichnen, was zu einer Erosion des Traumabegriffes führt und nahelegt, beinahe jedes Lebensereignis könnte einen bleibenden Schaden hinterlassen. Selbst Geburten werden als möglicher Auslöser einer Traumatisierung, doch haben Studien gezeigt, dass höchstens ein bis zwei Prozent aller Mütter an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkranken, und auch nur dann, wenn während der Geburt schwere Komplikationen auftraten oder eine Notfallsituation entstand. Frühe Traumainterventionen, wie sie derzeit häufig nach schweren Verkehrsunfällen oder Naturkatastrophen zum Einsatz kommen, können sogar schädlich sein, denn der Einsatz von Traumahelfern direkt nach einem Vorfall reduziert keinesfalls den Stress der Betroffenen, sondern verdoppelt manchmal sogar das Risiko, später tatsächlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken. Diese Maßnahmen unterbrechen den natürlichen Verarbeitungsprozess und begünstigen dadurch eine psychische Erkrankung, was auch für Beruhigungsmittel gilt, die Notärzte häufig an Unfallopfer ausgeben (Hauschild, 2013).

    Einem Trauma liegen insbesondere drei Elemente zugrunde: Ein wesentliches Kriterium ist die Wahrnehmung eines Ereignisses als existenziell bedrohlich. Des Weiteren muss die Erfahrung die aktuellen Bewältigungsmöglichkeiten übersteigen und schließlich nachhaltige Konsequenzen nach sich ziehen. Eine zu extensive Auslegung des Traumabegriffs würde dessen Spezifikum, insbesondere den Umstand, dass eine traumatisierende Erfahrung als existenziell bedrohlich erlebt wird, negieren. Bei vielen traumatisierten Menschen lassen sich Gefühle wie „aus der Welt gefallen“, „in einen Abgrund gestoßen“ und „in der Existenz erschüttert“ beobachten. Der Anlass, also das Traumaereignis, kann dabei variieren und umfasst beispielsweise Krieg, sexuelle Gewalt oder Vertreibung. Die traumatisierende Wirkung ist dabei die wesentliche Eigenschaft, die ein Trauma ausmacht. Diese Besonderheit wird jedoch trivialisiert, wenn der Traumabegriff inflationär verwendet wird und nahezu jede Verletzung, jede Kränkung oder jedes „Unwohlsein“ damit assoziiert wird. Infolgedessen verliert der Begriff seine spezifische Bedeutung.

    Anmerkung: Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem Begriff der Hysterie, der ursprünglich als Bezeichnung für bestimmte körperliche Ausdrucksformen von vor allem bei Frauen auftretenden neurologischen Störungen galt. Im Verlauf wurde der Hysteriebegriff jedoch derart verballhornt, dass daraus eine allgemeine Bezeichnung für vor allem weibliche Erregungszustände wurde. Als Allerweltsbezeichnung verlor er jede diagnostische Bedeutung und wird heute kaum mehr verwendet.

    Literatur

    Hauschild, J. (2013). Psyche: „Wir dürfen nicht alle Menschen mit Problemen zu Patienten machen“. Spiegel online vom 2. September 2013.
    Stangl, W. (2020, 12. September). Trauma. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
    https:// lexikon.stangl.eu/647/trauma.