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Ab wann können Kinder ein Geheimnis bewahren?

    Die Fähigkeit, ein Geheimnis zuverlässig zu bewahren, ist ein Meilenstein in der kindlichen Entwicklung, der in der Regel erst im Alter von fünf oder sechs Jahren erreicht wird, wobei beachtenswerte individuelle Unterschiede bestehen. Dieser Entwicklungsschritt ist kein einfacher, sondern erfordert das Zusammenspiel verschiedener kognitiver Fähigkeiten und reift im Laufe der frühen Kindheit heran.

    Eine grundlegende Voraussetzung für die Geheimnishaltung ist die sogenannte „Theory of Mind„, denn diese Fähigkeit ermöglicht es Kindern erst zu verstehen, dass andere Menschen eigene Gedanken, Überzeugungen und Wissensstände haben, die sich von ihren eigenen unterscheiden können. Das Kind muss erkennen, dass es etwas weiß, was andere nicht wissen, und dass dieses Wissen von Bedeutung ist. Ohne dieses Verständnis fehlt die Grundlage, den Wert und die Notwendigkeit der Geheimhaltung zu erfassen. Es geht darum zu verstehen, dass Informationen nicht einfach universell zugänglich sind, sondern gezielt weitergegeben oder zurückgehalten werden können.

    Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Entwicklung exekutiver Funktionen, insbesondere die Impulskontrolle, d. h.,  Kinder müssen in der Lage sein, den Drang zu unterdrücken, das Geheimnis preiszugeben, selbst wenn sie in Situationen sind, in denen es verlockend wäre, es auszuplaudern. Diese Selbstregulation erfordert eine erhebliche Anstrengung und übt einen erheblichen Druck auf das noch junge Gehirn aus. Die Fähigkeit, Impulse zu kontrollieren, ist nicht nur für die Geheimnishaltung, sondern auch für viele andere Aspekte des sozialen Lebens von entscheidender Bedeutung.

    Die Fähigkeit zum „mentalen Zeitreisen“ spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, denn Kinder müssen sich zukünftige Situationen vorstellen und die potenziellen Konsequenzen ihres Handelns abschätzen können. Dies beinhaltet das Verständnis, wie das Ausplaudern eines Geheimnisses ihre Beziehungen zu anderen beeinflussen könnte, insbesondere zu der Person, die ihnen das Geheimnis anvertraut hat. Kinder müssen die möglichen negativen Folgen erkennen und diese in ihre Entscheidung einbeziehen, ob sie das Geheimnis bewahren oder nicht. Diese Fähigkeit, die Zukunft zu antizipieren und die Auswirkungen des eigenen Verhaltens zu berücksichtigen, ist ein komplexer kognitiver Prozess.

    Zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr machen Kinder in all diesen Bereichen enorme Entwicklungsschritte, denn in dieser Phase beginnen sie, die Perspektiven anderer besser zu verstehen, ihre eigenen Impulse besser zu kontrollieren und die Konsequenzen ihres Handelns besser einzuschätzen. Trotz dieser Fortschritte kann ein dreijähriges Kind in der Regel noch kein Geheimnis zuverlässig bewahren. Die kognitiven und emotionalen Anforderungen sind für diese Altersgruppe einfach noch zu hoch.

    Bevor man also Kindern wichtige Informationen anvertraut, kann man ihre Fähigkeit zur Verschwiegenheit mit einem harmlosen Test zu überprüfen, etwa mir einem einfachen Spiel sein, bei dem das Kind gebeten wird, ein kleines Geheimnis für sich zu behalten. Darüber hinaus kann man das Kind um ein Versprechen bitten, nichts weiterzuerzählen. Dieses Versprechen kann die soziale Verantwortung des Kindes stärken und seine Motivation erhöhen, das Geheimnis zu bewahren.

    Darüber hinaus spielt der soziale Kontext eine entscheidende Rolle. Ein Kind, das eine starke und positive Beziehung zu der Person hat, von der das Geheimnis stammt, ist eher geneigt, es zu bewahren. Die Verbundenheit und das Vertrauen zwischen dem Kind und der Person, die das Geheimnis anvertraut hat, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind die Geheimhaltung als wichtig erachtet und sich bemüht, diese zu wahren. Die Motivation, die Beziehung nicht zu gefährden, kann ein starker Anreiz für die Geheimnishaltung sein. Umgekehrt könnte ein Kind mit einer weniger stabilen oder positiven Beziehung weniger motiviert sein, das Geheimnis zu bewahren.

    Die Fähigkeit zur Geheimnishaltung ist demnach ein komplexer Entwicklungsprozess, der von kognitiven Fähigkeiten, emotionaler Reife und sozialen Faktoren beeinflusst wird, wobei es wichtig ist, die individuellen Unterschiede in der Entwicklung zu berücksichtigen und die Erwartungen an die Geheimnishaltung dem Alter und den Fähigkeiten des Kindes anzupassen.