Bekanntlich durchlaufen Erinnerungen im Laufe ihrer Konsolidierung eine episodische zu einer semantischen Transformation. Lifanov et al. (2021) haben in einer Untersuchung überprüft, ob wiederholtes Abrufen eine ähnliche Semantisierung induziert und ob die daraus resultierenden qualitativen Veränderungen in Erinnerungen gemessen werden können. Man untersuchte dabei Assoziationen zwischen Verben und Objektbildern, und zwar unmittelbar nach der Exposition und nach einer zweitägigen Verzögerung, wobei die Probanden sich wie erwartet von Befragung zu Befragung an immer weniger Details erinnern konnten, d. h., je öfter sich die Teilnehmenden erinnern sollten, desto schneller wurden nebensächliche Aspekte wie etwa Farben vergessen. Schließlich konnten sie nur noch den zentralen Kern eines Bildes wiedergeben. Die Reaktionszeiten beim sofortigen Abruf zeigten dabei, dass auf konzeptuelle Merkmale schneller zugegriffen wird als auf perzeptuelle Merkmale. In Übereinstimmung mit dem Semantisierungsprozess vergrößert sich also diese perzeptuell-konzeptuelle Lücke signifikant über die Verzögerung der Erinnerung. Eine signifikant kleinere perzeptuell-konzeptuelle Lücke fand sich auch in den verzögerten Abrufdaten einer Kontrollgruppe, die die Verb-Objekt-Paarungen am ersten Tag wiederholt studiert hatte, anstatt diese aktiv abzurufen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Abruf und die Konsolidierung zusammenwirken, um Erinnerungen im Laufe der Zeit zu verändern, wobei bedeutungsvolle semantische Informationen gegenüber wahrnehmungsbezogenen Details gestärkt werden. Offenbar werden vom menschlichen Gedächtnis vor allem wirklich zentrale Informationen gespeichert, die später in ähnlichen Situationen noch einmal wichtig werden könnten.
Literatur
Lifanov, Julia, Linde-Domingo, Juan & Wimber, Maria (2021). Feature-specific reaction times reveal a semanticisation of memories over time and with repeated remembering. Nature Communications, 12, doi:10.1038/s41467-021-23288-5.