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Fischschwärme funktionieren ähnlich wie das Gehirn

    Gruppen von Tieren können hochgradig koordinierte kollektive Verhaltensweisen ausführen, die den beteiligten Individuen Vorteile bringen, indem sie den sozialen Informationsaustausch und den Schutz vor Raubtieren erleichtern. Einige dieser Merkmale könnten entstehen, wenn Gruppen an kritischen Punkten zwischen zwei strukturell und funktionell unterschiedlichen Zuständen operieren, was zu einer maximalen Reaktionsfähigkeit auf externe Reize und einer effektiven Informationsweitergabe führt. Es geht bei Schwarmverhalten in der Regel darum, dass sich Informationen lawinenartig ausbreiten, wobei in diesem Zustand die Individuen maximal schnell auf externe Reize mit einer maximal effektiven Informationsweitergabe reagieren.

    Gómez-Nava et al. (2023) vermuteten, dass Tiergruppen Beispiele für selbstorganisierte Systeme an kritischen Punkten darstellen, dass also das größte Leistungspotenzial des Gehirns an der Grenze zwischen Ordnung und Chaos liegt, also im Zustand der Kritikalität. Nach der These der Kritikalität des Gehirns (the critical brain hypothesis) ist das Gehirn deshalb so effizient in der Informationsverarbeitung, weil es sich permanent an einem kritischen Punkt zwischen Ordnung und Chao sbefindet, wobei Ordnung bedeutet, dass die Neuronen hochsynchron aktiv sind, wie in einem neuronaler Gleitschritt, und Chaos bedeutet, dass die Zellen unabhängig voneinander Impulse aussenden. Im Zwischenzustand, der Kritikalität, ist das Gehirn maximal erregbar und schon kleine Reize bringen plötzlich eine Vielzahl von Neuronen zum Feuern, Informationen breiten sich lawinenartig aus und können besonders leicht übertragen werden, auch in weit voneinander entfernte Hirnareale. Allerdings fehlen direkte empirische Belege für diese Hypothese insbesondere in der freien Natur weitgehend.

    Die Forscherinnen und Forscher konnten am Modell der Schwefelmollys – Fische die in Schwefelquellen in Mexiko leben – jüngst zeigen, dass sehr auffällige, sich wiederholende und rhythmische kollektive Tauchkaskaden, die von vielen Tausenden von Süßwasserfischen unter hohem Prädationsrisiko erzeugt werden, einem stochastischen erregbaren System ähneln, das durch Umweltstörungen angetrieben wird. Die Forschenden kombinierten dabei empirische Daten aus Verhaltensstudien im Feld mit mathematischen Modellen und konnten so zeigen, dass die räumlich-zeitliche kollektive Dynamik großer Schwärme tatsächlich einem erregbaren System im Stadium der Kritikalität entspricht, ähnlich dem eines Gehirns.

    Zusammen mit den Ergebnissen eines agentenbasierten Modells des Systems deutet dies darauf hin, dass diese Fischschwärme an einem kritischen Punkt zwischen einem Zustand hoher individueller Tauchaktivität und niedriger Gesamttauchaktivität agieren könnten. Man konnte nachweisen, dass das am besten passende Modell, das sich an einem kritischen Punkt befindet, es den Schwärmen ermöglicht, dass sich Informationen über externe Störungen wie etwa Angriffe von Vögeln am effektivsten im Schwarm ausbreiten. Daher könnte die These der Kritikalität ein plausibles Prinzip der verteilten Informationsverarbeitung in großen Tierkollektiven darstellen.

    Literatur

    Gómez-Nava, Luis, Lange, Robert T., Klamser, Pascal P., Lukas, Juliane, Arias-Rodriguez, Lenin, Bierbach, David, Krause, Jens, Sprekeler, Henning & Romanczuk, Pawel (2023). Fish shoals resemble a stochastic excitable system driven by environmental perturbations. Nature Physics, doi:10.1038/s41567-022-01916-1.
    https://www.igb-berlin.de/news/fischschwaerme-funktionieren-aehnlich-wie-das-gehirn (23-02-10)