Komplexe sequenzielle Verhaltensweisen wie Sprechen oder Musizieren erfordern eine flexible, regelbasierte Verkettung von Einzelhandlungen, wobei jedoch noch unklar ist, wie das Gehirn abstrakte strukturelle Regeln in Bewegungen umsetzt. Bianco et al. (2021) haben die Musikproduktion mit multimodalen Neuroimaging-Untersuchungen kombiniert, um die strukturelle Planung auf hoher Ebene von der motorischen Planung auf niedriger Ebene zu trennen. Beim Klavierspielen planen Pianistinnen und Pianisten parallel und müssen koordinieren, was gespielt wird, also welcher Ton oder Akkord folgen soll, und wie dieser gespielt wird, d. h., welche Finger genau den Anschlag ausführen wird. Pianisten spielten dafür neue Akkordfolgen auf einem stummen MRT-kompatiblen Klavier mit 27 Tasten, das über eine Lichtleitung die Tastendrücke der Probanden registrierte, wobei sie eine Modellhand auf dem Bildschirm imitierten, und die Akkordfolgen im Hinblick auf die musikalische Harmonie und die Kontextlänge manipuliert wurden, um die strukturelle Planung zu bewerten, und im Hinblick auf die zum Spielen verwendeten Finger, um die motorische Planung zu bewerten.
Ein Modell der probabilistischen Sequenzverarbeitung bestätigte zeitlich ausgedehnte Abhängigkeiten zwischen Akkorden, im Gegensatz zu lokalen Abhängigkeiten zwischen Bewegungen. Die beiden Planungsschritte „Was“ und „Wie“ aktivierten zwei unterschiedliche Hirnnetzwerke, wobei besonders auffällig war, dass beide Netzwerke den linken lateralen Präfrontalcortex beinhalten, dem große Bedeutung bei der Planung sämtlicher Alltagshandlungen zukommt. Offenbar ist der Präfrontalkortex eine zentrale Schlüsselregion, die musikalische Kompositionen und Fingerbewegungen bei einer Solo-Performance koordiniert.
Beim gemeinsamen Musizieren mit anderen sind die Anforderungen an das Gehirn noch anspruchsvoller, denn die Musikerinnen und Musiker müssen Planung und Umsetzung etwa der eigenen Stimme zusätzlich mit den Handlungen der anderen abgleichen und anpassen. Dieses Phänomen wird interbrain synchrony genannt, also das Synchronisieren ihrer Gehirnwellen, wobei ein naheliegender Grund für diese Synchronisation ist, dass die Musiker zur gleichen Zeit ähnliche Dinge tun und hören. Dazu mussten Pianistinnen und Pianisten gemeinsam kurze Klavierduette zu spielen, bei denen ein Pianist die Melodie mit der rechten Hand spielte, der oder die andere die begleitende Bassstimme mit der linken Hand, wobei alle Stücke in der Mitte eine musikalische Pause enthielten. Dabei sollten sie nach der Pause in einem neuen Tempo spielen, also schneller oder langsamer, was sie jeweils kurz vor dem Stück durch ein Signal erfuhren, wobei ihnen jedoch teils gegensätzliche Signale angezeigt wurden. Diese Manipulation machte tatsächlich einen Unterschied für die Synchronizität der beiden Gehirne in der Pause, denn planten beide dasselbe Tempo, war diese hoch, waren die Tempi jedoch verschieden, war sie niedrig. Zudem sagte die Synchronizität der Hirnwellen auch voraus, wie ähnlich das Tempo der Musizierenden nach der Pause war. Sowohl die strukturellen als auch die motorischen Netzwerke konvergierten dabei im lateralen präfrontalen Cortex, wobei die anterioren Regionen zur musikalischen Strukturbildung und die posterioren Bereiche zur Bewegungsplanung beitrugen. Offenbar ist die Synchronisation der Hirnwellen zwischen Musikern nicht nur ein Nebenprodukt, das durch gemeinsame Höreindrücke und die Musik selbst ausgelöst wird, sondern tatsächlich ein Mechanismus, durch den sie ihr Spiel miteinander koordinieren.
Literatur
Bianco, Roberta, Novembre, Giacomo, Ringer, Hanna, Kohler, Natalie, Keller, Peter E, Villringer, Arno & Sammler, Daniela (2021). Lateral Prefrontal Cortex Is a Hub for Music Production from Structural Rules to MovementsC. erebral Cortex, doi:10.1093/cercor/bhab454.
https://www.mpg.de/18184232/solo-und-duett (22-01-31)