Es wird angenommen, dass die Interozeption, also die Wahrnehmung innerer Körperzustände, untrennbar mit affektiven Eigenschaften wie Angst verbunden ist. Obwohl die Interozeption von der sensorischen bis zur metakognitiven Verarbeitung reicht, ist nicht klar, ob Angst in unterschiedlichem Maße mit diesen Verarbeitungsebenen verbunden ist. Harrison et al. (2021) untersuchten nun diese Frage im Bereich der Atmung, indem sie computergestützte Modellierung und funktionelle Magnetresonanztomographie einsetzten, um die Gehirnaktivität im Zusammenhang mit dynamischen Veränderungen des Einatmungswiderstands mit unterschiedlicher Vorhersagbarkeit zu bewerten. Insbesondere die vordere Insula war dabei sowohl mit der Vorhersagesicherheit als auch mit den Vorhersagefehlern bei der Atmung assoziiert, was auf ihre wichtige Rolle bei der Darstellung und Aktualisierung von Körpermodellen hindeutet. In der Insula, einem wichtigen Teil des Cortex, werden körperliche Empfindungen wie Atmung, Herzschlag oder Magen-Darm-Schmerzen wahrgenommen. Man geht davon aus, dass dieser Teil des Gehirns Modelle des Körpers erstellt, die Körpersignale vorhersagen und interpretieren, um etwa Gefahren für den Körper vorherzusagen und Alarm zu schlagen, wenn diesem Schaden droht. Man vermutet etwa schon lange, dass Angst mit veränderten Vorhersagesignalen im vorderen Inselcortex einhergeht, wobei der vordere Inselcortex bei Menschen mit höherem Angstpegel anders auf vorhergesagte Änderungen des Atemwiderstands reagiert. Menschen mit geringen bzw. moderaten Ängstlichkeitsmerkmalen zeigten eine unterschiedliche Aktivität der vorderen Insula für die Vorhersagesicherheit. Multimodale Analysen von Daten aus der funktionelle Magnetresonanztomographie, computergestützten Bewertungen der atembezogenen Metakognition und Fragebögen zeigten, dass die Verbindungen zwischen Angst und Interozeption alle Ebenen von der Wahrnehmungssensitivität bis zur Metakognition umfassen, wobei starke Effekte auf höheren Ebenen der interozeptiven Prozesse zu beobachten waren. Angst reduziert also die Fähigkeit der Menshen, die Veränderungen der Atmung zu bemerken, doch wenn Menschen erste körperliche Symptome der Angst nicht wahrnehmen, da die entsprechende Wahrnehmung scheinbar wie abgeschaltet ist, dauern diese Symptome an und der Angstpegel verstärkt sich weiter. Offenbar stören starke Emotionen wie Angst die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper und lassen Menschen erst verzögert oder manchmal auch zu spät reagieren.
Abhängig vom Grad der Angst machen sich die körperlichen Reaktionen mehr oder minder intensiv bemerkbar, wobei an der Ausbreitung der Angst fast der gesamte Körper beteiligt ist. Durch die ausgeschütteten Stresshormone weiten sich die Herzkranzgefäße und der Herzschlag erhöht sich. Auch der Blutdruck steigt und die Blutgefäße der inneren Organe und Haut verlängern sich. Schließlich wird alles notwendige Blut im Herzen für die Aktivität und Bereitstellung der Energie für Kampf oder Flucht benötigt. Das macht sich auch in der stärkeren Durchblutung der Skelettmuskulatur bemerkbar, die viele als plötzlichen Wärmeeffekt in einzelnen Körperregionen wahrnehmen.
Hinzu kommt die Erweiterung der Bronchien, ein Urinstinkt, denn durch die Erweiterung kann mehr Sauerstoff in den Körper gelangen und das Blut anreichern. Weitere Symptome im Körper sind erweiterte Pupillen, denn es soll die Bedrohung möglichst gut wahrgenommen und die Gefahr bestmöglich eingeschätzt werden, ein verminderter Speichelfluss, steigende Blutfettwerte und Blutzuckerspiegel.
Hinzu kommt noch die Appetitreduktion und eine verzögerte Verdauung bei Angstzuständen oder Panikattacken, denn der Körper schaltet in den Überlebensmodus und konzentriert sich ausschließlich auf die Energiebereitstellung, um blitzschnell zwischen Kampf, Flucht oder Verharren entscheiden zu können. Die Nahrungsaufnahme oder Verdauung sind in dieser überlebenswichtigen Situation zweitrangig.
Sobald das sympathische Nervensystem eingreift, wird aus der Schockstarre ein Flucht- oder Kampfmodus, doch dazu muss der Körper bereit sein und sämtliche Reserven bereitstellen. Dafür schüttet das Gehirn Adrenalin aus, was sich im Herzrasen bzw. Herzklopfen bemerkbar macht. Auch die Atmung wird plötzlich schneller, was häufig zu einem trockenen Mund führt. Innerliche Unruhe, Übelkeit, Schwitzen und ein beklemmendes Gefühl sind weitere Begleiterscheinungen, denn der Körper muss sich noch immer entscheiden, ob er kämpft oder flüchtet.
Literatur
Harrison, O.K., Köchli, L., Marino, S., Luechinger, R., Hennel, F., Brand, K., Hess, A.J., Frässle, S., Iglesias, S., Vinckier, F., Petzschner, F.H., Harrison, S.J. & Stephan, K.E. (2021). Interoception of breathing and its relationship with anxiety. Neuron, doi:10.1016/j.neuron.2021.09.045call_made.
https://www.wissen.de/angst-wenn-koerper-und-gehirn-ploetzlich-im-ausnahmezustand-sind (22-10-19)