Der Mensch verfügt über die bemerkenswerte kognitive Fähigkeit, sich rasch an eine sich verändernde Umwelt anzupassen. Wenn Menschen ihr Wissen auf neue Situationen anwenden wollen, müssen sie dabei abstrakt denken, d. h., von zentraler Bedeutung für diese kognitive Fertigkeit ist die Fähigkeit, abstrakte Repräsentationen auf hoher Ebene zu bilden, die sich Regelmäßigkeiten in der Welt zunutze machen, um die Verallgemeinerung zu unterstützen. Courellis et al. (2024) haben nun untersucht, wie diese Repräsentationen in Populationen von Neuronen kodiert werden, wie sie durch Lernen entstehen und wie sie mit dem Verhalten zusammenhängen. Man hat dabei die Repräsentationsgeometrie von Neuronenpopulationen charakterisiert, die im Hippocampus, in der Amygdala, im medialen frontalen Cortex und im ventralen temporalen Cortex von neurochirurgischen Patienten aufgezeichnet wurden, die eine Aufgabe zum schlussfolgernden Denken ausführten.
Den Probanden wurden wiederholt vier Bilder gezeigt – von einer Person, einem Affen, einem Auto und einer Melone. Durch Rückmeldungen lernten die Probanden, bei welchem dieser Motive sie auf einen linken oder rechten Knopf drücken sollten. Dann drehten die Forschenden die Regeln jedoch um, so dass jeweils der gegenteilige Knopf der richtige war – allerdings, ohne die Probanden darüber zu informieren. Diese mussten die zuvor erlernten Regeln also auf die neue Situation übertragen und daraus ihre Schlüsse ziehen. Nicht alle Testpersonen kamen gleich gut mit der Regeländerung zurecht, während manche schnell schlussfolgern konnten, welches Prinzip den Bildern und Knöpfen nach dem Switch zugrunde lag, gelang dies anderen nicht. Das spiegelte sich auch im Gehirn der Probanden, denn nur bei denjenigen, die die zuvor erlernten Regeln abstrahieren und anwenden konnten, zeigten sich auffallend geometrische Muster in der Hirnaktivität. Dabei waren gleichzeitig verschiedene Neuronengruppen aktiv und bildeten eine geordnete Formation
Man fand dabei also heraus, dass nur die im Hippocampus gebildeten neuronalen Repräsentationen gleichzeitig mehrere Aufgabenvariablen in einem abstrakten oder unzusammenhängenden Format kodieren. Diese Repräsentationsgeometrie ist eindeutig zu beobachten, nachdem die Patienten gelernt haben, Schlussfolgerungen zu ziehen, und besteht aus entkoppelten, direkt beobachtbaren und entdeckten latenten Aufgabenvariablen.Einige Testpersonen konnten die Aufgabe erst lösen, nachdem man ihnen die Regeländerung expliziert erklärte, doch traten dann aber ähnliche Hirnströme wie bei den Probanden auf, die keine Erklärung benötigten, d. h. bei Teilnehmenden, die verbale Anweisungen erhielten, traten die gleichen neuronalen Geometrien auf wie bei denen, deren Fähigkeit zu schlussfolgern auf erfahrungsbasiertem Lernen beruhte. Dies zeigt, dass verbaler Input zu neuronalen Repräsentationen führen kann, die sonst lange brauchen würden, um sie durch Erfahrung zu lernen.
Das Erlernen von Schlussfolgerungen durch Versuch und Irrtum oder durch verbale Anweisungen führte zur Bildung von Repräsentationen im Hippocampus mit ähnlichen geometrischen Eigenschaften. Der beobachtete Zusammenhang zwischen Repräsentationsformat und Inferenzverhalten lässt darauf schließen, dass abstrakte und unentwirrte Repräsentationsgeometrien für komplexe Kognition wichtig sind.
Literatur
Courellis, Hristos S., Minxha, Juri, Cardenas, Araceli R., Kimmel, Daniel L., Reed, Chrystal M., Valiante, Taufik A., Salzman, C. Daniel, Mamelak, Adam N., Fusi, Stefano, & Rutishauser, Ueli (2024). Abstract representations emerge in human hippocampal neurons during inference. Nature, doi:10.1038/s41586-024-07799-x