Die Bildung von Gedächtnisinhalten ist ein komplexer Prozess im Gehirn, an dem unter anderen der Hippocampus, aber auch verschiedene Regionen der Großhirnrinde beteiligt sind, wobei auch bestimmte Neuronen in der Amygdala eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen spielen, den Erinnerungen eine positive oder negative Wertigkeit zu verleihen. Die Fähigkeit, zeitlich getrennte Informationen zu assoziieren und Umweltreizen eine positive oder negative Wertigkeit zuzuordnen, ist für das Überleben von entscheidender Bedeutung. Vor allem soziale Signale können dabei als starke emotionale Auslöser dienen, die sich auf Prozesse von der Kognition bis zur Valenzverarbeitung auswirken. Es ist nun die Frage, wie soziale Signale dynamisch und flexibel mit positiver oder negativer Valenz in Verbindung gebracht werden bzw. wie frühere soziale Erfahrungen etwa die Motivation prägen, soziale Kontakte zu suchen oder zu vermeiden.
Padilla-Coreano et al. (2022) und Li et al. (2022) entwickelten in ihren Arbeiten ein Modell, in dem soziale Attribute, soziale Geschichte, soziales Gedächtnis, sozialer Rang und soziale Isolation flexibel die Valenzzuweisung zu sozialen Reizen beeinflussen können, die man insgesamt als soziale Valenz bezeichnen kann. Sie fanden heraus, wie das Gehirn jeden dieser vier Faktoren kodiert, und zeigen die neuronalen Schaltkreise und Mechanismen auf, die bei der Wahrnehmung sozialer Eigenschaften, des sozialen Gedächtnisses und des sozialen Rangs eine Rolle spielen, sowie die Auswirkungen dieser Faktoren auf die mit sozialen Reizen verbundenen Valenzsysteme. Sie beleuchten damit etwa die Auswirkungen sozialer Isolation und analysieren die neuronalen und verhaltensbezogenen Mechanismen, die die Auswirkungen akuter und längerer sozialer Isolation vermitteln.
Wichtig ist, dass sie damit ein konzeptionelles Modell zeigen, das die potenzielle Verschiebung der Valenz sozialer Reize von positiv zu negativ mit zunehmender Dauer der Isolation erklären könnten. Dabei konnte am Mausmodell mit dem Neuropeptid Neurotensin jener Faktor identifiziert werden, der die Bildung und Zuschreibung von sozialer Valenz steuert, wonach offenbar ein einzelner Neurotransmitter entscheidend mitbestimmt, ob das Gehirn eine Erfahrung als positiv oder als negativ abspeichert. Diese Untersuchung zeigte auch, dass das Gehirn im Grundzustand auf Negativismus gepolt ist, sodass Erinnerungen demnach automatisch eine negative Konnotation erhalten, und erst wenn Neurotensin ins Spiel kommt, können die Erinnerungen stattdessen mit Positivem assoziiert werden. Zusätzlich zusätzlich förderte ein hoher Neurotensinspiegel das Belohnungslernen. Insgesamt ergebe das evolutionären betrachtet Sinn, da diese negative Polung bewirkt, potenziell gefährliche Situationen zu vermeiden.
Literatur
Padilla-Coreano, N., Tye, K.M. & Zelikowsky, M. (2022). Dynamic influences on the neural encoding of social valence. Neuroscience, doi:10.1038/s41583-022-00609-1.
Li, Hao, Namburi, Praneeth, Olson, Jacob M., Borio, Matilde, Lemieux, Mackenzie E., Beyeler, Anna, Calhoon, Gwendolyn G., Hitora-Imamura, Natsuko, Coley, Austin A., Libster, Avraham, Bal, Aneesh, Jin, Xin, Wang, Huan, Jia, Caroline, Choudhury, Sourav R., Shi, Xi, Felix-Ortiz, Ada C., de la Fuente, Verónica, Barth, Vanessa P., King, Hunter O., Izadmehr, Ehsan M., Revanna, Jasmin S., Batra, Kanha, Fischer, Kyle B., Keyes, Laurel R., Padilla-Coreano, Nancy, Siciliano, Cody A., McCullough, Kenneth M., Wichmann, Romy, Ressler, Kerry J., Fiete, Ila R., Zhang, Feng, Li, Yulong & Tye, Kay M. (2022). Neurotensin orchestrates valence assignment in the amygdala. Nature, doi:10.1038/s41586-022-04964-y