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Die Wirkung von Alkohol auf das Gehirn

    Alkoholintoxikation in jungen Jahren ist ein Risikofaktor für die Entwicklung von Suchtverhalten. Um diese Veränderungen im Gehirn besser zu verstehen, die den Übergang von sporadischem Alkoholkonsum zu chronischem Alkoholmissbrauch begünstigen, haben Knabbe et al. (2022) verschiedene Auswirkungen einer einmaligen Ethanol-Exposition auf molekularer, zellulärer und Verhaltensebene identifiziert. Ähnlich wie bei Lern- und Gedächtnisprozessen bestand die Idee darin, dauerhafte Veränderungen zu entdecken, die dauerhafte Ethanol-Belohnungserinnerungen vermitteln könnten. Durch hochauflösende Zwei-Photonen Mikroskopie konnten derartige zelluläre Mechanismen live im lebenden Maushirn während und nach der Trunkenheit beobachtet werden. Durch diese Bildgebung der Gehirne von akut exponierten Mäusen fand man heraus, dass Ethanol dauerhafte Veränderungen der synaptischen Morphologie, des Axonanfangssegments und des mitochondrialen Traffics hervorruft. Bei Drosophila-Fliegen führte die gezielte Ausschaltung des Mitochondrienverkehrs zur Aufhebung positiver Ethanol-Belohnungserinnerungen.

    Das bedeutet, dass eine einzige Alkoholgabe im Gehirn von Mäusen zu Änderungen an Synapsen führte und dass diese Änderungen deutlich länger vorhanden waren, als der Alkohol im Blut nachweisbar war. Solche anhaltenden Änderungen an Synapsen bilden die Grundlage von normalen Lernen und Gedächtnis und könnten somit auch die Grundlage des Suchtgedächtnisses darstellen. Nach einer Einmalgabe von Alkohol war außerdem eine Erhöhung der Mitochondrien-Mobilität in Nervenzellen im lebenden Hirn zu beobachten, und auch diese Veränderung war nach dem vollständigen Abbau des Ethanols noch messbar. Bei Drosophila Fruchtfliegen hingegen führte die gezielte Blockade dieser Mitochondrien-Mobilität dazu, dass die Fliegen keine positiven Assoziationen mit Alkohol aufbauen konnten. Normalerweise gewöhnen sich Fliegen sehr schnell an den Genuss von Alkohol, aber nach Blockade der Mitochondrien-Mobilität hatten die Fliegen kein Interesse mehr. Da die Mobilität der Mitochondrien sowohl bei Fliegen als auch bei Mäusen eine wichtige Rolle bei Alkohol bedingten Veränderungen des Gehirns zu spielen scheint, vermutet man, dass beim Menschen dieser zelluläre Mechanismus ebenso von maßgeblicher Bedeutung ist. Abschließend konnten auch bei Verhaltensexperimenten mit Mäusen länger anhaltende Veränderungen beobachtet werden, da die Tiere bis zu zwei Tage nach einmaliger Alkoholgabe Schwierigkeiten hatten, korrekte Entscheidungen zu treffen.

    Offenbar ist der mitochondrialen Transport ein Prozess, der beim Belohnungslernen eine Rolle spielt, was das Potenzial der hochauflösenden Proteomik zur Identifizierung zellulärer Mechanismen unterstreicht, die für das Suchtverhalten von Bedeutung sind. Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass eine einmalige Ethanol-Exposition plastische Veränderungen hervorruft, die ihrerseits zur Grundlage der Ethanol-Abhängigkeit beitragen könnten.

    Folgen von Abstinenz auf das Gehirn

    In mehreren Querschnittsstudien wurde eine weit verbreitete kortikale Ausdünnung bei Personen mit einer Alkoholkonsumstörung festgestellt. Die wenigen Längsschnittstudien, die Veränderungen der kortikalen Dicke während der Abstinenz untersuchen, beschränken sich auf den ersten Monat der Abstinenz. Daher ist unklar, wie sich die kortikale Dicke bei Menschen mit einer Alkoholkonsumstörung während einer längeren Abstinenz verändert. In dieser Studie wurden die Teilnehmer nach etwa 1 Woche (n=68), 1 Monat (n=88) und 7,3 Monaten (n=40) Abstinenz untersucht. Fünfundvierzig nichtrauchende Kontrollpersonen nahmen an einer Eingangsuntersuchung teil, 15 wurden nach etwa 9,6 Monaten erneut untersucht. Die Teilnehmer wurden bei 1,5 T magnetresonanztomographisch untersucht, und die kortikale Dicke von 34 bilateralen Regionen von Interesse wurde mit FreeSurfer quantifiziert. Die Versuchsgruppe zeigte eine signifikante lineare Zunahme der Dicke in 25/34 Regionen über 7,3 Monate Abstinenz. Die Veränderungsrate von 1 Woche zu 1 Monat war größer als von 1 Monat zu 7,3 Monaten in 19/34 ROIs. Proatherogene Bedingungen waren mit einer geringeren Dickenerholung in den Bereichen anterior frontal, inferior parietal und lateral/mesial temporal verbunden. Nach 7,3 Monaten Abstinenz war die kortikale Dicke in 24/34 ROIs der Versuchs- und Kontrollgruppe statistisch äquivalent; die Unterschiede in der kortikalen Dicke zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe im Gyrus temporalis superior, postzentral, posterior cingulate, superior parietal, supramarginal und superior frontal waren auf dünnere Kortices in der Versuchsgruppe unter proatherogenen Bedingungen im Vergleich zur Kontrollgruppe zurückzuführen. In der aktiv rauchenden Versuchsgruppe war eine Zunahme der Packungsjahre (1 Packung pro Tag) mit einer Abnahme der Dicke vor allem in den anterioren frontalen ROIs verbunden. Eine weit verbreitete bilaterale lineare Erholung der kortikalen Dicke nach 7,3 Monaten Abstinenz war das zentrale Ergebnis für diese Versuchskohorte. Proatherogene Bedingungen waren nach 7,3 Monaten Abstinenz mit einer verminderten Dickenerholung und dünnerem Kortex in mehreren ROIs assoziiert, was darauf hindeutet, dass Veränderungen der Perfusion oder der vaskulären Integrität mit der strukturellen Erholung in der Versuchsgruppe zusammenhängen könnten. Diese Ergebnisse unterstützen die adaptiven und positiven Effekte der anhaltenden Abstinenz auf die strukturelle Erholung des Gehirns bei Versuchspersonen.

    Literatur

    Durazzo, Timothy C., Stephens, Lauren H. & Meyerhoff, Dieter J. (2023). Regional cortical thickness recovery with extended abstinence after treatment in those with alcohol use disorder. Alcohol, doi:10.1016/j.alcohol.2023.08.011.
    Knabbe Johannes, Protzmann Jil, Schneider Niklas, Berger Michael, Dannehl Dominik, Wei Shoupeng, Strahle Christopher, Tegtmeier Michèle, Jaiswal Astha, Zheng Hongwei, Krüger Marcus, Rohr Karl, Spanagel Rainer, Bilbao Ainhoa, Engelhardt Maren, Scholz Henrike & Cambridge Sidney B. (2022). Single-dose ethanol intoxication causes acute and lasting neuronal changes in the brain. Proceedings of the National Academy of Sciences, 119, doi:10.1073/pnas.2122477119.
    Stangl, W. (2023, 15. November). Wie sich Alkohol auf das Gehirn auswirkt. arbeitsblätter news.
    https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/wie-sich-alkohol-auf-das-gehirn-auswirkt/.
    https://idw-online.de/de/news796131 (22-06-22)