Singapur, eine kleine Nation ohne nennenswerte Bodenschätze, muss ihren Weg zum Wohlstand über den Bildungssektor finden. Dabei setzt die Regierung vor allem auf eine umfassende Frühförderung, denn sie ist überzeugt, dass der Grundstein für den späteren Bildungserfolg bereits im Kleinkindalter gelegt wird. Um die frühkindliche Bildung und Betreuung weiter auszubauen, hat die Regierung in den letzten zehn Jahren die Zahl der ganztägigen Angebote mehr als verdoppelt – auf über 200.000 Plätze. Diese Kindertagesstätten bieten Betreuung von morgens 7 Uhr bis abends 7 Uhr, teilweise sogar ab einem Alter von nur zwei Monaten. Damit sollen beide Elternteile schnell wieder voll in den Arbeitsprozess eingebunden werden können.
Der enorme Ausbau der Frühförderung scheint sich auszuzahlen: Bei der jüngsten PISA-Studie der OECD belegte Singapur Spitzenplätze in Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften. Dabei ging es den Schülerinnen und Schülern nicht um reines Auswendiglernen, sondern um den Transfer von Wissen und das Erlernen von Problemlösefähigkeiten.
Doch damit nicht genug: Neben den staatlichen Schulen und Vorschulen gibt es in Singapur einen florierenden Markt für private Nachhilfe und Zusatzunterricht, den sogenannten „Enrichment„- oder „Tuition“-Sektor. Laut offiziellen Statistiken gaben Singapurer Familien im Jahr 2017/2018 rund eine Milliarde Euro für diese privaten Förderkurse aus – ein eindrucksvoller Beleg für die hohe Bildungsmotivation in der Bevölkerung. Insgesamt zeigt sich: Singapur investiert enorme Ressourcen in die Frühförderung und das lebenslange Lernen seiner Bürger. Dieses Konzept scheint aufzugehen und den Stadtstaat zu einem der weltweit führenden Bildungsstandorte zu machen.
Zusätzlich zum regulären Schulunterricht besuchen rund 70 Prozent aller Kinder in Singapur sogenannte „Büffel-Booster„, also Nachhilfe- und Förderkurse außerhalb der Schule. Dies sind monatlich etwa 80 Euro pro Haushalt. Obwohl dieser zusätzliche Unterricht nicht verpflichtend ist, sehen viele Singapurer diese Kurse als notwendig an, um in der leistungsorientierten und wettbewerbsintensiven Gesellschaft des Stadtstaates mithalten zu können. Das Angebot ist breit gefächert – es reicht von Sprachunterricht in Chinesisch über Programmier-Kurse bis hin zu Trainingseinheiten zur Förderung der rechten Gehirnhälfte.
Allerdings hat dieses hohe Maß an Leistungsdruck und Förderung offenbar auch seine Schattenseiten. Laut der PISA-Studie beklagen die Schüler in Singapur, dass sie zu wenig Unterstützung und Begleitung durch ihre Eltern erfahren. Zudem machen sie nach dem Unterricht deutlich weniger Sport als der OECD-Durchschnitt. Das ständige Pauken und Büffeln bis spät in die Nacht hinein an Schreibtischen, bei externen Nachhilfekräften, hinterlässt offensichtlich seine Spuren – nicht nur physisch, sondern auch mental. So leidet einer von zehn Jugendlichen in Singapur an einer psychischen Störung.
Obwohl Singapur im internationalen Leistungsvergleich glänzt, werfen diese Zahlen ein Schlaglicht auf die Kehrseite des rigiden Leistungsdrucks, dem die Schüler ausgesetzt sind. Die Maximierung schulischer Erfolge auf Kosten von Freizeit, Erholung und psychischer Gesundheit könnte sich langfristig als kontraproduktiv erweisen.