Während Sigmund Freud als Begründer der Psychoanalyse in die Geschichte einging, ist eine seiner bedeutendsten Weggefährtinnen fast vergessen: Helene Deutsch. Sie war nicht nur eine der ersten Frauen, die an der Universität Wien Medizin studierten, sondern auch eine der Pionierinnen, die das Freud’sche Denken weiterführten – und zugleich in Frage stellten. 1884 im galizischen Przemysl als Helena Rosenbach geboren, floh sie aus einer streng patriarchalen Familie, um zu studieren, schloss sich der Sozialdemokratie an und lebte eine freie Beziehung – zu einer Zeit, in der das für Frauen nahezu unmöglich war. Als sie 1918 in die psychoanalytische Bewegung eintrat, wurde sie schnell zu einer zentralen Figur, leitete das Lehrinstitut und die freie psychoanalytische Ambulanz in Wien. Ihr 1925 erschienenes Werk Zur Psychologie der weiblichen Sexualfunktionen war das erste psychoanalytische Buch, das sich ausschließlich mit Frauen beschäftigte – und inspirierte Freud selbst, sich mit der weiblichen Sexualität auseinanderzusetzen.
Nach ihrer Emigration in die USA 1935 wurde sie zu einer der einflussreichsten Psychoanalytikerinnen des Landes. Ihr zweibändiges Hauptwerk The Psychology of Women (1945) machte sie berühmt – und zugleich zur Zielscheibe feministischer Kritik. Ihre Thesen wurden, oft aus dem Zusammenhang gerissen, zur Legitimation konservativer Rollenvorstellungen missbraucht, die Frauen nach dem Krieg zurück in die Häuslichkeit drängen sollten. Dass Deutsch dafür verantwortlich gemacht wurde, spiegelt weniger ihre Haltung als vielmehr die Transformation der Psychoanalyse im Amerika des 20. Jahrhunderts wider: Aus einem emanzipatorischen Entwurf wurde ein Instrument gesellschaftlicher Anpassung, eine „Therapie für die perfekte Vorstadtehefrau“.
Helene Deutsch erlebte die gesamte Geschichte der Psychoanalyse – von ihrer Geburt im Wien der Jahrhundertwende bis zu den Freud-Kriegen der Nachkriegszeit. Sie war eine Rebellin, die sich den Zwängen ihrer Zeit widersetzte, und eine Denkerin, deren Werk – jenseits der Fehllektüren und Projektionen – noch immer darauf wartet, neu entdeckt zu werden.