Geschichte war schon immer ein Machtinstrument – wer sie kontrolliert, bestimmt, wie Gegenwart und Zukunft verstanden werden. In autoritären Systemen geschah das durch offene Geschichtsfälschung, heute wirkt Manipulation subtiler: Desinformation verändert nicht nur aktuelle Wahrnehmungen, sondern auch die Erinnerung an Vergangenes. Ereignisse werden emotional umgedeutet, vereinfacht oder aus ihrem Zusammenhang gelöst, bis sich Identitäten verschieben.
Da Menschen Geschichten stärker erinnern als Fakten, genügt ein überzeugendes Narrativ, um Forschung und Belege zu überlagern. Digitale Plattformen verstärken diesen Effekt: Algorithmen entscheiden, welche Inhalte sichtbar bleiben und welche im digitalen Vergessen verschwinden. So entsteht eine unsichtbare Geschichtspolitik, in der Reichweite über Relevanz siegt. Gesellschaften, die ihre Vergangenheit nicht kritisch aufarbeiten, werden anfällig für solche Manipulationen. Erinnerungspolitik ist daher kein nostalgischer Luxus, sondern ein Schutzmechanismus gegen Identitätsverlust und Wiederholung von Fehlern.
Bildung muss Geschichte entgiften, durch Quellenarbeit, Kontext und kritisches Denken, denn Wahrheit ist keine Meinung, sondern die Verpflichtung zur Nachprüfbarkeit. Nur offene Archive, unabhängige Forschung und digitale Transparenz können verhindern, dass kollektive Erinnerung zur manipulierbaren Ressource wird. Denn wer vergisst, was wirklich war, überlässt die Deutung der Geschichte jenen, die sie für ihre Zwecke umschreiben.