Ist man gezwungen zu warten, muss das nicht negativ sein. Man kann solche Momente auch zur Selbstreflexion nutzen. Das Smartphone wird genutzt, um Wartezeiten (Bus, Arztpraxis) oder Langeweile (keine Abendpläne) sofort zu überbrücken (Mails checken, Spiele-App, Social Media, Podcast). Man versucht, Warten oder „nichts zu tun“ zu vermeiden, weil es langweilig ist, sich nicht gut anfühlt und man das Gefühl hat, nichts Sinnvolles zu machen, oder weil dabei unerwünschte Gedanken aufkommen könnten.
Dieses Vermeiden ist nicht gut für uns, da Warten eine wichtige Funktion erfüllt: Es verbessert die Selbstkontrolle (Fähigkeit, Gedanken, Emotionen und Verhalten zu regulieren, wenn langfristige Ziele mit kurzfristigen Versuchungen in Konflikt geraten). Verbesserte Selbstkontrolle macht laut Forschung sozial, kognitiv und psychisch fitter.
Warten ist also die perfekte Übung für Selbstkontrolle, da diese Fähigkeit dabei auf die Probe gestellt wird. Man sollte daher öfter warten/innehalten, z. B. vor dem Beantworten einer nervigen E-Mail (tief durchatmen) oder vor dem Griff zu ungesundem Essen (kleine Pause).
So sollte man beim Essen während des Kauens das Besteck aus der Hand legen und nicht schon die nächste Portion auf die Gabel laden.
Minimale Pausen schaffen Raum zwischen Impuls und Handlung für mehr Selbstkontrolle und helfen, langfristige Ziele umzusetzen. Warten bedeutet Schweigen, um Emotionen an die Oberfläche gelangen zu lassen. Dies kann helfen, Gefühle besser zu verstehen, belastende Erinnerungen zu verarbeiten und Überforderung besser einzuordnen. Solche Momente schaffen Raum für Reflexion, was wiederum Ideen, einen tieferen Fokus und Kreativität anregen kann.
Die Wahrnehmung des Wartens ist jedoch persönlich und kulturell unterschiedlich. Es kann als unangenehm/frustrierend oder als mächtig und transformativ angesehen werden.
Vier konkrete, evidenzbasierte Tipps aus der Psychologie, um die Vorteile des Wartens zu nutzen:
- Genießen: Die Vorfreude auf ein Ereignis (Urlaub, Feier) bewusst genießen und visualisieren, um das Vergnügen insgesamt zu verlängern und zu verstärken.
- Dankbarkeit: Wartezeiten (Arzt, Ampel) nutzen, um darüber nachzudenken, wofür man im eigenen Leben dankbar ist. Dies reduziert Frustration und schafft mehr Wertschätzung.
- Sinnstiftung: Das Warten positiv bewerten, z. B. als Chance zum Ausruhen, Innehalten und Nachdenken. Mit einem Sinn verbunden, bekommt die Wartezeit eine neue Bedeutung.
- Achtsamkeit: Erzwungenes Warten als eine Art Meditation sehen. Dem gegenwärtigen Moment volle Aufmerksamkeit schenken (neutral, neugierig, akzeptierend). Dies kann einen lästigen Umstand in einen Mini-Self-Check verwandeln, beim Entspannen helfen, die Emotionsregulation verbessern und das Wohlbefinden steigern.
Man muss demnach nicht mehr herumsitzen und in die Luft schauen, denn wenn man sich in einem Moment des Wartens wiederfindet, sollte man dessen Wert erkennen und diesen bewusst nutzen.