Zum Inhalt springen

Gewalthaltige Videospiele und Aggression

    Seit der Entwicklung des ersten Computerspiels im Jahr 1958 hat sich die Videospielbranche zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig entwickelt. Neben gewaltfreien Bestsellern wie Minecraft existieren zahlreiche kommerziell erfolgreiche Titel, in denen Gewalt zentraler Bestandteil ist, darunter Grand Theft Auto V (GTA V), Counter-Strike, Call of Duty und Battlefield. Diese Ego-Shooter lassen Spielende in der Ich-Perspektive virtuelle Gegner mit Schusswaffen bekämpfen und geraten häufig in den Verdacht, reale Gewalttaten – insbesondere durch Jugendliche – zu begünstigen. Medien und Öffentlichkeit ziehen oft eine Verbindung zwischen Amokläufen und der Nutzung solcher Spiele, was die Frage nach ihrem Einfluss auf Aggression und Empathie aufwirft.

    Empirische Studien zeichnen jedoch ein differenzierteres Bild. Szycik et al. (2017) untersuchten männliche Vielspieler von Ego-Shootern, die über mindestens vier Jahre hinweg täglich zwei Stunden spielten, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne Spielerfahrung. Mithilfe psychologischer Fragebögen und funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) erfassten sie emotionale Reaktionen auf mitfühlende Stimuli. Es zeigten sich weder in den Selbstauskünften noch in den neuronalen Aktivierungsmustern signifikante Unterschiede in Aggression oder Empathie.

    Ähnliche Ergebnisse lieferte eine Untersuchung von Lengersdorff et al. (2024) an 89 erwachsenen Männern. Nach einer zweiwöchigen Spielphase, in der eine Gruppe die gewaltreiche, eine andere eine gewaltfreie Version von GTA V spielte, blieben sowohl die Befragungsergebnisse als auch die fMRT-Messungen unverändert. Die Forschenden schlussfolgerten, dass kurzfristiger Kontakt mit Videospielgewalt bei psychisch gesunden Erwachsenen keine messbare Beeinträchtigung der Empathie bewirkt, verwiesen jedoch auf die potenziell größere Vulnerabilität des kindlichen Gehirns aufgrund seiner hohen Plastizität (Lengersdorff & Lamm, 2024).

    Langfristige Auswirkungen auf Jugendliche wurden von Coyne und Stockdale (o. J.) in einer Längsschnittstudie mit 500 Kindern im Alter von zehn bis 13 Jahren untersucht. Die Teilnehmenden wurden nach ihrer Affinität zu gewalthaltigen Spielen in drei Gruppen eingeteilt. Jungen spielten häufiger solche Spiele als Mädchen. Auffällig war, dass Kinder mit mittlerer Affinität im Verlauf die höchsten Aggressionswerte entwickelten, während bei stark affinen Spielern der Konsum über die Jahre deutlich zurückging. Prosoziales Verhalten sowie Angst- und Depressionswerte unterschieden sich nur geringfügig zwischen den Gruppen. Die Autorinnen sehen im dauerhaft hohen Konsum einen stärkeren Prädiktor für potenzielle Langzeiteffekte als in kurzfristig intensivem, aber abnehmendem Spielverhalten.

    Die Gesamtbewertung der Forschungslage zeigt, dass das Spielen von Ego-Shootern allein nicht als Hauptursache für Gewalttaten gelten kann. Gewaltentstehung ist vielmehr das Resultat eines komplexen Zusammenspiels genetischer, neurobiologischer, psychodynamischer, biografischer und soziokultureller Faktoren (Lange, zitiert nach Handelsblatt). Allerdings können solche Spiele bei bereits gefährdeten Jugendlichen als eine Art Training dienen, indem sie Handlungsstrategien für potenziell gewaltsames Verhalten einüben.

    Literatur

    Lengersdorff, L., & Lamm, C. (2024). Empathy and exposure to violent video games: Short-term effects in adult males. Universität Wien.
    Szycik, G. R., Münte, T. F., & Müller, B. W. (2017). Long-term effects of violent video games on empathy in male adults. Medizinische Hochschule Hannover.
    Coyne, S., & Stockdale, L. (o. J.). Longitudinal associations between violent video game use and aggressive behavior in adolescents. Brigham Young University.
    Lange, A. (zit. nach Handelsblatt). Kommentar zur Debatte um Ego-Shooter und Gewalttaten.
    Stangl, W. (2015, 15. August). Computerspiele machen aggressiv. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/EMOTION/Aggression-Computerspiele.shtml